Blogbeiträge
Smalltalk über das Wetter kenne ich als Deutscher gut. In Sierra Leone ist es nicht anders. Egal, mit wem man spricht, eines der ersten Themen wird die ständige Hitze sein. Der Umgang mit Hitze ist für jeden Menschen hier unterschiedlich und viele Büroräume und gerade die teureren Wohnungen habe Klimaanlagen – wir aber nicht.
Ein großes Problem in der Hauptstadt ist die Stromversorgung. Für die staatliche Stromversorgung ist die Electricity Distribution and Supply Authority (EDSA) verantwortlich und das funktioniert – vorsichtig gesagt – schlecht. Wir haben in unserer WG jeden Tag zumindest ein paar Stunden Strom und können deswegen fast täglich Akkus und Powerbanks laden. Eine Klimaanlage haben wir nicht und deswegen ist mein bester Freund mein Ventilator. Dieser braucht aber… Strom!
Da Strom bekanntlich ein Problem ist, geht es meist ohne die Unterstützung des Ventilators ins Bett. Wenn ich dann morgens aufwache, bin ich komplett durchgeschwitzt und flüchte erst einmal unter die Dusche. Danach geht es an Wochentagen ins Büro und dort die ist Situation nicht wirklich besser. Auch dort arbeitet nur der Ventilator – wir haben jedoch einen Generator und deshalb läuft der Ventilator deutlich zuverlässiger. Heiß ist es trotzdem immer und auch im Büro steht Schwitzen auf der Tagesordnung.
Wenn ich dann bei 35 Grad tagsüber und 25 Grad bei Nacht Erzählungen und Bilder aus dem „kalten Deutschland“ mitbekomme und sehe, werde ich häufig neidisch und wünschte mir mal einen Tag ohne verschwitzte Klamotten…
Übrigens: Die hohen Temperaturen hier in Sierra Leone stellen für den menschlichen Körper eine enorme Herausforderung dar. In Europa wird beispielweise eine Warnung ausgesprochen, wenn die mittlere Tagestemperatur drei Tage in Folge über 25 Grad ist (NZZ, 2022). Wie beschrieben, sind es hier nicht einmal nachts unter 25 Grad und ich bin hier für über fünf Monate. Mein Körper ist somit im „Dauerstress“.
Gestern bin ich aus Kamakwie wiedergekommen. In den vergangenen Tagen war ich Teil des ersten Workshops von Greenlimba. Unter dem Titel „Conservation and Permaculture“ in Kakissi haben Menschen aus der Region Methoden und Techniken für alternative und klimaresistente Landwirtschaft lernen können. Der Workshop war überaus interessant und lehrreich für Teilnehmende, uns als Organisation und mich als Vertreter der NGO, aber die An- und Abfahrt sind Gegenstand dieses Beitrages. Wer die letzten Einträge gelesen hat, der hat schon einiges über den Verkehr und die Verkehrsteilnehmenden lesen können – diese Fahrten waren anders.
Ich bin am vergangenen Freitag nach Kamakwie gestartet, da mir Freetown erneut zu viel war und ich meine Ruhe brauchte. Somit bin ich um 7:00 Uhr mit gepacktem Rucksack und in voller Montur mit dem Bike nach Jui gefahren. Von da aus habe ich mir ein Taxi genommen, welches mich nach Makeni bringen sollte. Ich habe für die Strecke wieder den vorderen Platz gebucht und obligatorisch 240 nLe (~10 Euro) bezahlt. Die Fahrt nach Makeni verlief relativ ereignislos und wir sind durch die ersten Polizeikontrollen gut durchgekommen. Der Fahrer wurde mehrfach gefragt, was denn im Kofferraum ist, und aus irgendeinem Grund hat die Antwort „personal things“ gereicht und wir durften weiterfahren. Eigentlich muss der Fahrer bei einer Polizeikontrolle aussteigen und den Kofferraum öffnen und im gleichen Atemzug dem Polizisten oder der Polizistin ein Schmiergeld zahlen – „ohne dass es jemand sieht“.
Nun kann man sich fragen, was denn passieren würde, wenn der Fahrer eben kein Schmiergeld zahlen möchte. Denn wenn das Auto angemeldet, in einem vernünftigen Zustand und nicht überladen ist und der Fahrer einen Führerschein hat, dann hat dieser doch nichts zu befürchten – falsch. Angenommen es gibt regulär 100 Vorgaben und Auto und Fahrer erfüllen alle, dann gibt es an dem Tag eben 101. Wer kein Schmiergeld zahlt, wird an- und festgehalten und deswegen zahlt Jeder.
Eine gute halbe Stunde vor Makeni musste unser Fahrer dann aber doch den Polizisten schmieren und sagte nach der Kontrolle zu mir: „Salone is sick“ als Reaktion auf die Nötigung der lokalen Polizei. In Makeni angekommen wurde ich von meinem Bike Fahrer begrüßt, der mich auch das letzte Mal gefahren hat. Wir haben uns also auf den Weg nach Kamakwie gemacht und im Gegensatz zu der Straße nach Makeni musste „TwoTime“ (der Bike Fahrer) auf der Strecke nach Kamakwie jeden Polizisten bestechen. Auch er erfüllt alle Auflagen und konnte seinen Führerschein vorweisen, ohne ein Schmiergeld von fünf Leonen durften wir aber nicht passieren. Nach insgesamt sechs Stunden bin ich dann am Ziel angekommen und an Reisetagen mache ich den restlichen Tag gar nichts mehr…
Nach zwei Tagen „Ruhe“ in der Provinz drehte sich die restliche Zeit in Kamakwie dann um den Workshop mit Greenlimba und ich durfte die deutsche Seite der NGO vertreten und das Training mitverfolgen. Der Workshop war ein Erfolg und am Donnerstag bin ich dann erneut früh aufgestanden, um bei Sonnenaufgang zu starte. Der stellvertretende Schulleiter des SeTIK (ehemals SEVOC) verabschiedete sich noch bei mir und fragte mich nach meinem Rückweg. Er war etwas überrascht, als ich ihm von Taxi, Bike und den korrekten Straßennamen erzählte und sagte: „You know you´re way around – it´s like you were born here (lachend)”, was meiner Meinung nach ein riesiges Kompliment ist.
„TwoTime“ sammelte mich wenig später ein und nachdem auf der Strecke nach Makeni erneut jeder Polizist erfolgreich bestochen wurde, frühstückte ich im Yum Yum Centre. Da Falafel aus war, gab es dann ein Chicken Sandwich und eine Cola. Gestärkt ging es zur NP-Station (in Makeni starten die Taxen von dem „Park“ oder der NP-Tankstelle, am letzterer Standort werden die Autos meiner Erfahrung nach schneller voll – und gestartet wird erst, wenn alle Sitze belegt sind) und ich bekam wieder den vorderen Sitz im Taxi. Viel Hektik und wenige Momente später rollten wir also vom Hof und nahmen noch einen Passagier im Kofferraum mit…
Ich erwartete eine ruhige Fahrt, da ich die Strecke nun mittlerweile kannte und noch nie Probleme hatte. Doch direkt bei der ersten Polizeikontrolle mussten alle Mitfahrer:innen aussteigen. Den Kollegen im Kofferraum haben wir wenige Meter vor der Kontrolle rausgelassen und dieser lief entspannt an uns vorbei, als ich noch mit dem Polizisten redete. Ich wollte von dem Beamten wissen, warum wir denn nun alle aussteigen müssten – darauf bekam ich keine Antwort und mit jeder Minute wurde er aggressiver und lauter. Solche Interaktionen bin ich mit der lokalen Polizei überhaupt nicht gewohnt, da ich noch nie ein Problem mit dieser hatte. Ich folgte seiner Aufforderung ohne weitere Widersprache und lief auf einen Checkpoint zu, der mit einer Wellblechplane provisorisch überdeckt war. Dort wurde ich dann aufgefordert meinen Rucksack zu öffnen. Nicht dass ich etwas zu verheimlich hätte, aber auch hier fragte ich die Polizisten wieder, wonach sie denn suchen würde. Sie antwortete nur: „I´ll tell you, if I find it.”. Mit Blick nach links sah ich einen ihrer Kollegen mit einer AK-47 bewaffnet und deshalb packte ich alles brav aus und nachdem sie meine Klamotten, Medikamente und Zigarettenschachteln untersucht hatte, durfte ich alles wieder einpacken. Sichtlich genervt – wegen des Verhaltens der Polizist:innen mir gegenüber und nicht dem Fakt, dass sie Kontrollen durchführen – kam ich zu unserem Taxi zurück. Alle anderen war schon wieder im Auto und ich fragte den Fahrer nur, wonach sie denn suchen würden. Seine Antwort: Kush.
Kush ist eine synthetische Form von Marihuana und wird mit verschiedensten Mitteln gestreckt – alles andere als eine „saubere“ Droge. Was in dem Stoff ist, ist meist unklar. Das große Problem: Die Droge ist billig. So billig, dass sich selbst die Ärmsten im Land einen „Trip“ leisten können. Der Preis liegt bei ungefähr 5 nLe (~ 20 Cent). Viele arbeitslose und obdachlose Menschen greifen zu der Droge, da es „einen vergessen lässt“ (NPR, 2024). Die Droge hat vor sechs Jahren Einzug in Sierra Leone gehalten und ist mittlerweile auch in die benachbarten Länder Guinea und Liberia übergeschwappt. Die Zahl an Kush Fällen in den Krankenhäusern in Sierra Leone ist von 47 im Jahr 2020 auf über 1800 im Jahr 2023 angestiegen (AfricaNews, 2024). Die Dunkelziffer wird weitaus darüberliegen, da Menschen „hier einfach sterben“ und meist nicht nach der Todesursache gefragt wird…
Wir machten uns also wieder auf den Weg, nur um dann knappe 30 Minuten später von einem Baum, welcher auf die Straße gefallen ist, wieder aufgehalten zu werden. Also ging es über Umwege weiter, bis wir Katu Town erreichten und wir erneut aussteigen und das Gepäck vorzeigen mussten – diesmal habe ich mir die Widerrede und Nachfragen gespart. Danach mussten wir lediglich einen Auffahrunfall zweier Laster und die Mautstationen passieren, bis wir dann endlich Jui erreichten. Für die knapp 170 Kilometer von Makeni nach Freetown brauche ich sonst circa zweieinhalb Stunden und an diesem Tag waren es fast vier…
Nach dieser aufregenden Fahrt brauchte ich dann erst einmal ein Mittagessen und deswegen fuhr mich mit dem Bike zum Lumley Beach und gönnte mir eine neapolitanische Steinoffenpizza bei Gigibonta.
Zur Abb.: Ein "klassisches" Taxi auf dem Weg nach Makeni.
Another week, another field trip. So kam es mir die letzten Wochen zumindest vor. Am vergangenen Samstag haben wir uns von der CSSL wieder auf den Weg nach Fo-Gbo gemacht, um erneut „ins Feld“ zu fahren. Zuerst gab es jedoch noch eine Schulung in ArcGIS und dem Umfrage-Tool „Survey123“. Für diesen Field Trip wurden wir diesmal von einem Team, bestehend aus fünf externen Kräften, unterstützt, die für das Erheben von einem „Household Survey“ und weiteren Primärdaten zu den unterschiedlichen Communities zuständig waren.
Durch die Schulung hat sich die Zeitplanung etwas verschoben und wir sind erst am Abend in Fo-Gbo angekommen. Dementsprechend starteten wir dann während der einsetzenden Dämmerung und ich mit einem mulmigen Gefühl in meinen dritten Trip in die Yawri Bay. Die Strecke war mir mittlerweile bekannt, was mir etwas Ruhe und Sicherheit gab. Durch die Erfahrungen aus den letzten Aufenthalten im Feld habe ich nun immer Kopfhörer dabei und hörte – so auch diesmal – Musik auf dem Boot. Die Fahrt im Dunklen auf dem Holzboot durch die Mangroven hatte etwas Abenteuerliches und Geheimnisvolles. Die Situation und Stimmung haben mich etwas nachdenklich gestimmt und ich habe mit Blick in die Mangroven über meine Zeit und Arbeit in Sierra Leone nachgedacht. Ich habe immer wieder die Gedanken, dass ich in der Heimat etwas verpassen könnte und vielleicht doch ein Praktikum in Deutschland hätte machen sollen… aber in Momenten, wie in dem auf dem Boot, umgibt mich ein sehr warmes Gefühl und ich fühle mich am richtigen Ort.
Diesmal sind wir direkt nach Morchille gefahren, da wir um die Urzeit direkt unser Lager aufschlagen wollten und wie immer in dieser Community schliefen. Als wir in dem „Hafen“ ankamen, trug die Boot-Crew die anderen durch die restlichen Meter Schlamm ans Ufer und ich sprang spontan hinterher und wartete ans Festland. Immer wenn ich (als „Opoto“) etwas „Unkonventionelles“ oder einfach den Locals gleichtue, dann sind diese fast immer schockiert. Besonders in diesen abgelegenen Communities sind die Bewohner:innen „weiße Menschen“ nicht gewohnt und schon gar nicht welche, die durch Schlamm warten, mit ihnen am selben Tisch essen und in einer Hängematte hinter ihrem Haus schlafen – diese Wahrnehmung und Stereotypen möchte ich aufbrechen. Am ersten Abend geschah nicht mehr viel und ich hing wieder obligatorisch meine Hängematte unter den Baumkronen der Mangobäume auf.
Am nächsten Morgen gab es für die anderen wieder eine Portion Reis zum Frühstuck und ich blieb bei meinen mitgebrachten Keksen. Ich kann gerade am Morgen keine Reis-Mahlzeit essen, da der restliche Tag für meinen Magen sonst gelaufen ist… auch das stößt immer wieder auf Unverständnis bei meinen Kollegen und die Menschen in den Dörfern. Meine Erklärung ist dann immer, dass es mir zu schwer im Magen liegen würde, worauf meine Kollegen dann erwidern, dass es doch Energie bringen würde – auf einen gemeinsamen Nenner kommen wir bei diesem Thema nicht.
Wie bereits zuvor angesprochen, ist Reis absolutes Nationalgericht und Grundnahrungsmittel für die meisten Saloner*innen. Mein Arbeitskollege sagt immer wieder, dass „man noch so viel am Tag gegessen haben kann, wenn es kein Reis war, dann hatte man noch kein Essen“ – um die Wertschätzung und Wahrnehmung des Lebensmittels einmal einzuordnen. In diesem Kontext finde ich besonders erschreckend, dass der Mindestlohn (welcher sicher nicht immer bezahlt wird) knapp 700 nLe (~28 Euro) im Monat sind (Average Salary Survey, 2024). Ein Sack Reis, welcher eine „kleine“ Familie für einen Monat versorgen könnte, kostet jedoch 1000 nLe (~40 Euro).
An diesem Morgen fand ich eine andere Bemerkung jedoch viel interessanter: Zwei Mütter aus dem Dorf saßen während des Frühstücks in unserer Nähe und riefen auf Krio zu mir rüber. Da mein Krio wirklich schlecht ist, übersetzte mein Kollege für mich. Die Frauen sagten: „Wir wollen, dass unsere Kinder mit deiner Hautfarbe geboren werden.“. Das fanden alle Anwesenden sehr amüsant, aber die traurige Wahrheit ist, dass ihre Kinder dadurch zwangsläufig ein privilegierteres Leben hätten. Sicher ist die Hautfarbe nicht das Einzige, was meine Privilegien ausmacht und mein Pass und Herkunftsland leisten in diesem Kontext ihren Beitrag, aber ein solcher Kommentar lässt tief blicken und hat mich erneut sehr nachdenklich gestimmt.
Im Anschluss haben wir Community Engagements in Ribbimen, Moyambe und Morchille umgesetzt und Ansätze zu alternativen und klimaresistenten Lebensunterhalten implementiert. Währenddessen hat das Umfragen-Team parallel in insgesamt fünf Communities Daten erhoben. Am Abend haben wir zusammen die nächsten Tage und die morgige Fahrt nach Samu geplant. Wir entschieden, dass wir bei Sonnenaufgang mit dem Pampa starten wollten. Somit zog ich mich früh in meine Hängematte zurück und hörte noch eine gute halbe Stunde einen Podcast. Gerade deutsche Podcasts dienen mir häufig als Erholung und ich vergesse kurz, dass ich tausende Kilometer von meiner Heimat, meiner Familie und meinen Freunden entfernt bin.
Am nächsten Morgen stand ich dann um 6:00 Uhr auf, um genug Zeit für meine Morgenroutine im Feld zu haben und meine Hängematte abzubauen. Pünktlich haben wir uns dann in der Morgendämmerung auf den Weg zu dem „Hafen“ gemacht und mussten vor Ort genervt, aber wenig überrascht, feststellen, dass noch nichts vorbereitet war. Es hat die Boot-Crew eine weitere Stunde gekostet das Boot startklar zu machen und bis wir auf dem Wasser waren, war es schon nach 8:00 Uhr. Durch diese Verzögerung geriet nun auch unser restlicher Zeitplan in Gefahr. Eigentlich sollten wir von Samu aus weiter nach Shengebull, dann Plaintain Island und danach nach Shenge fahren. Alles an einem Tag…
Verärgert starteten wir dann aber endlich und erreichten drei Stunden später Samu. An diesem Punkt hatte ich schon wieder genug… wie bereits beschrieben hat unser Boot überhaupt keinen Luxus und deshalb tut einem auf gut Deutsch nach ein paar Stunden einfach der Hintern weh. Nichtsdestotrotz gingen wir unserer Arbeit nach und setzten auch hier die Vorhaben um. Wir versuchten alle Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, um so etwas Zeit wieder gutzumachen. Aus diesem Grund half ich in dieser Community bei den Umfragen. Mit einem Übersetzer an der Seite befragte ich die Einwohner:innen von Samu zu ihrer Wohnsituation, ihrer finanziellen Lage und dem Einfluss des Klimawandels auf ihr Dorf. Der erste Befragte war Lehrer in Samu und neben all den anderen erschreckenden und interessanten Informationen, erzählte er mir auch, dass er und sein Kollege für über 500 Schüler und Schülerinnen zuständig seien. Was das für die Qualität des Unterrichts bedeutet, muss ich wohl kaum erläutern… die nächsten sechs Befragungen liefen durch die Sprachbarriere etwas holprig ab, jedoch wurde wieder deutlich: die Menschen hier, besonders in den kleinen Dörfern an der Küste, sind extrem von Armut bedroht und das Wenige, was sie haben, wird enorm von dem Klimawandel bedroht. Die katastrophale Hitze und die fortschreitende Abtragung, durch den ansteigenden Meeresspiegel, bedroht die Existenz aller Menschen in den Dörfern der Yawri Bay.
Daraufhin ging es zurück aufs Boot. Während den nächsten zweieinhalb Stunden sind mir zwei Situationen explizit im Gedächtnis geblieben. Wir haben aus Samu zwei lebende Hähne mit auf das Boot genommen und nach ein paar Minuten nahm einer meiner Kollegen einer der Hähne in die Hand und machte sich an dessen Federn zu schaffen. Im ersten Moment wusste ich überhaupt nicht, was er da gerade machte. Er brach dem Tier eine Feder ab, rupfte die meisten Federn ab, tauchte das restliche Stück in den Ozean und nutze diesen als Ohrstäbchen. Zwei weitere auf dem Boot nahmen sich dies zum Vorbild und taten es ihm gleich. Ich war völlig perplex und weiß bis heute nicht, was ich von dieser Praxis halten soll. Die zweite Aktion trug sich eine Stunde später zu, als einer aus meinem Team seinen Energy Drink ausgetrunken hatte und die leere Plastikflasche völlig selbstverständlich ins Meer geworfen hat. Nur zur Erinnerung: unser Arbeitgeber ist die Conservation Society of Sierra Leone, eine Umweltorganisation.
Dazu muss an dieser Stelle gesagt sein, dass es in Sierra Leone kein wirkliches Abfall- oder Recyclingsystem gibt. Firmen wie „Milla“ und einige Organisationen in der Hauptstadt versuchen ein solches zu implementieren – ein Großteil des Mülls landet aber am Straßenrand und der meiste Müll aus den Haushalten wird vor dem Haus verbrannt. Viele Menschen kennen es hier nicht anders und aus diesem Grund wirft dann eben mein Kollege seinen Müll auch einfach über Bord. Aber: Das Müll nicht im Ozean landen darf und verheerende Folgen für Flora und Fauna in den Ozeanen hat, steht selbstverständlich außer Frage.
Nachdem wir dann endlich Shengebull erreicht hatten, stellte sich bei uns ein Gefühl von Ruhe ein. Der nächste Stop Plaintin Island und unsere Unterbringung in Shenge für die letzte Nacht waren jetzt zum Greifen nah. Da ich Shengebull bereits kannte und die Aufgaben hier keine anderen waren, gibt es über den Aufenthalt nicht viel zu berichten. Worauf ich jedoch nicht vorbereitet war, war Plaintin Island… Für meine Anstellung bei der CSSL oder die verschiedenen Field Trips habe ich nie eine Art Vorbereitungsseminar oder Info-Veranstaltung absolviert und in diesem Moment habe ich mir eine solche gewünscht.
Wir legten auf der Ostseite von Plaintin Island an und mussten eine leichte Erhöhung hochlaufen, weshalb wir dann einen Blick über die gesamte Fläche hatten. Ich würde schätzen, dass man die Insel innerhalb von 20 Minuten umrunden könnte – sie ist also nicht zu groß. Durch die Folgen des Klimawandels hat die Insel dazu bereits viel Fläche verloren. Das Bild, welches sich mir auf der Insel offenbarte, kommt meiner Erfahrung und Vorstellung nach auf dem ersten Blick einem Flüchtlingscamp nahe. Menschen, Tiere und Häuser eng an eng und überhaupt keine erkennbare Infrastruktur oder Planung in der Siedlung. Die Häuser sind äußerst simpel und bestehen meist nur aus Holz und Planen. Im ersten Moment dachte ich, dass die Menschen auf der Insel noch ärmer als die anderen Communities sein müssen – das Gegenteil ist aber der Fall. Der Standort bietet ideale Voraussetzung für den Fischfang und aus diesem Grund ist das Einkommen hier im Durchschnitt sogar deutlich höher. Für jemanden wie mich, der eine derartige Insel noch nie gesehen hat, war der Schein jedoch ein anderer. Der Toilettengang wird hinter dem eigenen und vor dem Haus des Nachbars vollbracht und das sieht und riecht man. Gepaart mit der Bebauung war ich schockiert und musste mich erst einmal setzen und sammeln.
In einer Sprachnachricht an meinen Vater sagte ich: „Ich dachte nicht, dass mich noch einmal etwas so schockieren würde – weil ich dachte, dass ich jetzt schon einiges gesehen habe – aber ich glaube, dass es noch ärmer auf dieser Welt nicht geht […] in einem friedlichen Land. Die meisten Häuser sind aus Planen und Wellblech und es riecht nur nach Kloake, hier läuft überall irgendetwas runter. […] Es sind so viele Menschen hier und es ist so eng besiedelt… Krass.“. Nachdem ich mich etwas sammeln konnte und mit meinen Arbeitskollegen über meine Eindrücke gesprochen habe, machten wir uns auf den Weg nach Shenge, der Distrikt-Hauptstadt.
Dort angekommen und nach über sieben Stunden auf dem Ozean, bezogen wir unsere Unterkunft und bekamen Reis und Fisch. Danach machten wir uns auf die Suche nach ein paar Bier. Eine ältere Dame war die „Bar“ der Stadt und hatte eine Kühltruhe in einem Abstellraum. Eigentlich gibt es in Shenge auch eine richtige Bar mit Live-TV, diese war aber an diesem Tag geschlossen. Nach den letzten zwei Nächten in der Hängematte und besonders dem Besuch auf Plaintin Island war mir aber alles recht. Wir setzten uns also mit dem „Star-Bier“ aus der Dose vor unser Haus und sprachen über Gott und die Welt. Zusammen mit einer Menthol Zigarette und dem lauwarmen Bier, fragte ich meine beiden Kollegen, was wohl die Träume der Menschen auf der Insel sind. Die einfache Antwort der Beiden: „They want to stay there. Just like their parents did and they want their children to live there too.”. Ein Wunsch, der so banal und einfach klingt, aber nicht in Erfüllung gehen wird. Die optimistische Prognose ist, dass es die Insel vor Shenge noch 25, vielleicht 30 Jahre geben wird. Dann ist endgültig alles abgetragen und vom Ozean verschluckt.
Dieser Moment war ein weiterer, in dem ich schockiert, traurig und wütend gleichzeitig war. Ich bin in einem der reichsten Länder der Welt aufgewachsen und mir wurde immer wieder gesagt, dass ich „groß träumen soll“ und „nichts unmöglich ist“. Ich fühlte mich beschämt, weil es für viele meiner Freunde in Deutschland und mich häufig wirklich so scheint. Wir wollen immer mehr und höher hinaus und werden nur selten gestoppt – ohne das im deutschen Kontext werten zu wollen. Die Menschen auf Plaintin Island, welche ich treffen durfte und mich unfassbar herzlich aufgenommen haben, haben vergleichsweise wenig, aber wollen gar nicht mehr. Für viele dort ist der größte Wunsch, einfach auf ihrer Insel zu bleiben und dieser wird ihnen verwehrt – und das durch das Handeln des Globalen Nordens. Die Menschen, welche am meisten unter den Folgen der Klimakrise leiden, sind die, die am wenigsten dazu beitragen (ganz nebenbei: das sind keine Neuigkeiten…). Nach drei Bieren ging ich dann nachdenklich ins Bett, am nächsten Morgen erledigten wir unsere Aufgaben in Shenge und machten uns auf den Rückweg.
Die gesamte Bootfahrt hörte ich Musik und reflektierte über die vergangenen Tage und neuen Eindrücke. Dieses Mal legten wir dann in Tombo an und ich machte mich auf den Weg nach Bureh Beach. Nach den vergangenen Tagen brauchte ich eine Nacht am Strand, um meine Gedanken zu sortieren. Auch das ist wieder pervers: ich sehe täglich hungernde Menschen auf unseren Field Trips und habe dann aufgrund meiner Herkunft und meinem sozio-ökonomischen Hintergrund die Möglichkeit mir eine Hütte am einem Traumstrand zu mieten und mich zu sortieren. Manchmal muss ich das auch vor mir selbst und meinem Gewissen rechtfertigen… Ich muss mir dann sagen, dass ich nicht jedem Menschen helfen kann und ich auch nur ein Mensch und keine Maschine bin. Ohne diesen Ausgleich würde ich die Arbeit hier nicht schaffen. Sierra Leone ist die bisher größte Herausforderung meines noch sehr jungen Lebens.
Am nächsten Tag ging es zurück nach Freetown und abends wurde ein Film in der deutschen Botschaft gezeigt. Bei kalten Getränken in einem klimatisierten Raum gab es dann ganz kultivierte Gespräch und als ich einem der Anwesenden über meine Arbeit und Zeit in Sierra Leone erzählte, sagte er etwas, was ich nicht mehr vergessen werde. Er sagte: „[…] so you´re fighting on the frontlines of the fight against climate change.”. Passender könnte ich meine Arbeit hier nicht beschreiben.
Zur Abb.: Das CSSL-Team auf Plaintin Island.
Heute Morgen war einer der Morgen, an denen man sich am liebsten wieder umdrehen und weiterschlafen möchte. Das liegt nicht daran, dass ich gestern „einen über ‘n Durst getrunken habe“ oder einfach noch müde bin – sondern daran, dass ich einfach keine Lust auf dieses Land habe. Was sich jetzt hart anhören mag, ist überhaupt nicht negativ gemeint. Aber vorne angefangen…
Die letzten Tage waren in vielerlei Hinsicht anstrengend und einfach zu viel. Angefangen mit dem Transport: Nachdem ich anfangs immer „meinen“ Fahrer hatte, den ich anrufen könnte und der mich überall hingebracht hat, hat dieser seinen Führerschein verloren und ich muss somit jedes Mal aufs Neue für die Strecken verhandeln – und das nervt. Dazu kommt dann, dass hier nichts funktioniert – Internet, Strom- und Wasserversorgung, Kommunikation auf und neben der Arbeit. Auch das Essen stellt für meinen Magen immer wieder eine Herausforderung dar. Das Beste ist jedoch, dass hier alles immer „small small“ passiert. Es wird sich auf der Arbeit immer sehr viel Zeit gelassen und somit habe ich häufig das Gefühl, dass ich gar nichts schaffe. Frei nach dem Motto „Was ich heute kann besonders, das verschiebe ich lieber auf Morgen“.
Am liebsten wäre ich heute Morgen in Hamburg aufgewacht, in den lokalen Supermarkt spaziert und hätte mir ein Frühstück eingekauft. Danach zum Sport und hätte mich am Nachmittag mit Freunden an der Alster getroffen. Auch die verregneten 12 Grad wünschte ich mir gerade. Nachdem ich mich dann aufgerafft habe und zur Arbeit gefahren bin (und selbstverständlich kein Fahrer auf dem Berg verfügbar war und ich somit direkt wieder verschwitzt unten ankam) und dort niemand pünktlich war und ich erneut keine Aufgaben hatte, hatte ich genug. Ich hatte einfach keinen Bock mehr!
Mein Vater, der selbst in Sierra Leone aktiv ist, nennt dieses Gefühl „Africa Blues“. Also das Gefühl, dass die Arbeit hier so fordernd und anstrengend ist, sich aber gleichzeitig nichts bewegt und man am liebsten hinschmeißen würde – was selbstredend nicht die Lösung ist. So gerne ich heute in Deutschland in einem gewohnten Umfeld mit geregelten Abläufen aufgewacht wäre, umso sicherer bin ich mir, dass ich gerade genau am richtigen Ort bin. Diesen „Africa Blues“ haben übrigens nicht nur ich oder mein Vater, sondern jede:r hier ab und zu. Es ist also nicht immer nur alles schön und interessant, sondern kann auch wirklich „a pain in the arse“ sein – aber anders würde ich es gar nicht wollen!
Ich hatte heute im Büro nicht viel zu tun und war deswegen vergleichsweise früh um 15:00 Uhr zuhause. Nach ein paar Stunden hatte ich das Gefühl, nochmal „raus zu müssen“. Aus diesem Grund habe ich mir meinen Laptop geschnappt und bin zur „Mango Peak“ Bar in der Nähe der deutschen Botschaft gefahren. Wie bereits zuvor beschrieben, braucht es für den Weg den Berg hinunter ein Bike. Also lief ich vor unseren Compound und rief einen Fahrer heran. Dieser fragte dann kurz vor der Ankunft am Fuße des Berges, wo ich denn hinwolle.
Auf meine Antwort „St. Mary´s“ (einem Supermarkt in der Nähe der Bar, welcher den meisten Fahrern bekannt ist) sagte er, dass er mich dahinfahren kann. Ohne das Bike zu wechseln, machte ich mich somit auf den Weg. Durch den Kreisel, die Straße am Berg rauf, bis wir dann nach circa 10 Minuten den Supermarkt sehen konnten. Ich sagte ihm, er solle noch 100 Meter weiterfahren und mich vor „Mango Peak“ absteigen lassen. Angekommen an der Bar fragte ich ihn dann nach dem Preis. Normalerweise kläre ich das immer vor der Fahrt, damit es keine Diskussionen gibt, wenn wir angekommen sind und ich auch einen anderen Fahrer wählen könnte. Dieses Mal gab es die Verhandlung also nach der Ankunft. Für „Locals“ gibt es Einheitspreise (besonders bei Kekes – bei Bike müssen auch diese teilweise verhandeln). New England zu St. Mary´s kostet zehn Leone, New England zum Congo Cross Roundabout kostet ebenfalls zehn Leone und New England nach Lumley kostet beispielsweise 15 Leone. Für mich ist das anders. Viele verlangen von mir „Opoto-Preise“, also Preise für weiße Menschen/ „Internationals“ (da viele die Preise nicht kennen und dann unsicher in der Verhandlung sind, können Fahrer diese Preise auch abrufen).
Bei der Bar angekommen fragte ich meinen Fahrer also nach dem Preis (der mich auf der Fahrt noch nach meinem Namen gefragt hat und „mit mir befreundet sein wollte“ – wie viele hier) und sagte mir, dass mich die Fahrt 30 Leone kosten würde. Worauf ich nur lachend antwortete: „I know the price, my friend. That’s an opoto price”. Auf diese Reaktion gibt es typischerweise zwei Antworten: „No, I swear it´s not!“ oder der Fahrer muss auch lachen, da er ertappt wurde. In beiden Fällen muss ich dann also verhandeln und solange ich den Preis kenne, weiche ich von diesem auch nicht ab. Häufig handelt es sich umgerechnet nur um wenige Euro Cent, es geht mir jedoch um das Prinzip. Wenn ich den verlangten Preis zahle und dieser Fahrer das nächste Mal einen „Opoto“ mitnimmt, dann wird er den gleichen Preis verlangen. Ist es jedoch so, dass ich das nicht mitmache und verhandle, dann überlegt sich dieser Fahrer das beim nächsten Mal zweimal.
Nun könnte man sagen, dass ich geizig sei. Wie bereits angesprochen, geht es mir aber überhaupt nicht um das Geld, sondern ums Prinzip. Sierra Leone ist eines DER Länder, wenn es um internationale Hilfsmittel geht. So war die Friedensmission „UNAMSIL“ nach dem Bürgerkrieg die größte und finanziell umfangsreichste dieser Art der UN jemals (Polman, 2010). Dieser Trend zieht sich auf allen Ebenen durch. Menschen hier setzen weiße Menschen häufig in Verbindung mit Geld und das zeigt sich in der Denkweise vieler. Wenn ich das Haus verlasse, werde ich ohne Ausnahme angebettelt und nach Geld gefragt. Aus diesem Grund gebe ich nur selten Geld, was mir besonders schwer bei kleinen Kindern fällt (mehr dazu auch im Eintrag „12/03/2024 - „Give Me Money“!“). Dieser Struktur möchte ich „im Kleinen“ entgegenwirken und zeigen, dass betteln keine setablierte Option bleiben kann. Sicher braucht Entwicklungszusammenarbeit (EZ) Fördergelder und selbstverständlich zahle ich auch bei meinem Bike ein paar Leone mehr oder gebe einem Obdachlosen mal ein wenig Geld – aber dann wann ich es für angebracht halte und nicht weil Menschen es wegen meiner Hautfarbe erwarten. Es ist die Aufgabe der EZ die Ursachen und Problemherde zu bekämpfen, damit Menschen eben nicht hungern oder auf der Straße leben müssen. Es kann aber nicht sein, dass sich derartige Denkmuster und Machtasymmetrien etablieren und weiter bestärkt werden und einige Menschen (ganz wichtig: es sind nicht alle – ich denke, dass das selbstverständlich sein sollte) in Sierra Leone erwarten, dass „die Weißen“ schon das Geld heranbringen werden… Denn wohin führt eine solche Entwicklung?
Was also tun, wenn man ganz viele Informationen und Ideen aus dem Feld mit nach Freetown bringt? Richtig: Ein Stakeholders` Engagement ansetzen. Gesagt, getan. Ich habe bereits vor unserem letzten Field Trip eine Einladung für verschiedene staatliche Institutionen, NGOs und Akteure aus dem privaten Sektor geschrieben, die mit uns über die Erkenntnisse diskutieren und nächste Schritte beschließen sollten.
Die Business School als München definiert „Stakeholder“ als „[…] alle Personen und Gruppen, die von den Entscheidungen und Aktionen eines Unternehmens betroffen sind oder beeinflusst werden könnten.“ (Munich Business School, 2022). Ein „Stakeholders` Engagement“ ist somit die Praktik verschiedene Menschen an einen Tisch zu bringen und ein gemeinsames Thema oder Problem zu diskutieren und lösungsorientiert zu bearbeiten. In unserem Fall wurden alle Akteure, die einen Bezug zur Yawri Bay haben, eingeladen und wir haben unsere Ergebnisse präsentiert, um dann im Anschluss in einem Austausch zu Ergebnissen kommen.
Laut der Agenda sollte das Meeting um 9:00 Uhr starten, weshalb ich mit deutscher Pünktlichkeit um 8:15 Uhr auf der Matte stand. Stattgefunden hat es in einem Hotel in der Nähe unseres Büros. Ich kam mit dem Bike und lief den restlichen kleinen Anstieg zu Fuß. Ich trug seit langem wieder eine lange Hose und ein Hemd. Ansonsten nehme ich mir als internationaler Praktikant immer raus, als einziger in kurzer Hose und T-Shirt/ kurzem Hemd zur Arbeit zu kommen. Mein, für mich ungewohntes, Outfit hatte zur Folge, dass ich durch die wenigen Meter in praller Sonne komplett verschwitzt am Hotel ankam. Meine erste Amtshandlung war dann der Kauf einer kalten Cola, bevor ich den Konferenzraum betreten haben.
Dieser war in einem schönen Lila gestrichen und neben mir war lediglich mein Vorgesetzter da. Wir besprachen mein Konzept für eine Brainstorming Session, die ich später anleiten sollte. Es waren bereits zehn Stühle an einen L-förmigen Tisch gestellt und ein separater Tisch für uns von der CSSL vorbereitet. Auf meine Frage, wie viele denn anwesend sein werden, antwortete mein Vorgesetzter, dass er es nicht genau wissen würde. Die Einladung, die ich die Woche zuvor geschrieben hatte, ging nämlich erst einen Tag vor dem Meeting raus. Er rief also noch einmal alle an und „aus irgendeinem Grund hatten viele keine Zeit“. Ihn überraschte dies, mich nicht.
Für die Brainstormig Session hatte ich ein Konzept ausgearbeitet und mich für die „Robin-Round Methode“ entschieden. Deswegen hätte ich gerne gewusst mit vielen Teilnehmenden ich zu planen habe. Nach einem „kleinen“ britischen Frühstück und einem Kaffee kamen dann die ersten Teilnehmer. Gegen 10 Uhr kamen dann zwei weitere Kollegen von der CSSL und um 10:30 Uhr begannen wir mit dem Meeting. Am Ende kamen zwölf von 20 geladenen Teilnehmer:innen.
Bei der „Robin-Round“ Methode wird eingangs das Thema und der Ablauf vorgestellt. Daraufhin werden alle Teilnehmer:innen in Kleingruppen (idealerweise Gruppen von fünf) aufgeteilt. Normalerweise hat jede Gruppe einen „Facilitator“, der die Diskussion anleitet, ich habe das Format für unsere Session jedoch etwas aufgelockert, sodass der Prozess etwas interaktiver abläuft und sich jede:r zu gleichen Teilen einbringen muss. Im Anschluss wird dann rotiert und die Ideen aus der vorherigen Gruppe werden der neuzugeteilten Gruppe präsentiert. So bekommen die Teilnehmenden direktes Feedback und jede:r kann Fragen zu den Ideen und Konzepten der Anderen stellen. In einer dritten Runden geht es dann zurück in die ursprüngliche Gruppe, in welcher dann das gesammelte Feedback eingearbeitet wird. Abschließend werden dann die Ergebnisse aller Gruppen präsentiert. Durch diese Methode gelangt man schneller zu ausgeklügelteren Ansätzen und die Teilnehmende sind meist selbstbewusster während ihrer Präsentation, da es bereits erste Fragen und Feedback gab.
Nach zwei Präsentation über unsere Arbeit und zukünftige Ansätze durfte ich dann ran. Nachdem das Meeting 1 ½ Stunden verspätet gestartet hatte, waren auch die Präsentationen länger als geplant. Aus diesem Grund hatte ich statt einer Stunde nur 30 Minuten zur Verfügung. Somit war ich gezwungen das Konzept über Bord zu werfen und teilte alle Teilnehmenden in Kleingruppen auf und gab diesen eine Diskussionsfrage an die Hand. Nach 15 Minuten präsentierten die einzelnen Gruppen ihre Ergebnisse und das Meeting wurde geschlossen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es mehr um das Erlangen von Informationen und Ansätzen ging oder um ein paar Fotos von einem Stakeholder` Engagement. Für mich fühlte sich der Ablauf mehr nach einem Plichtprogramm an, „weil man es eben so macht“ und von anderen NGOs und Agencies eben so erwartet wird. Bestärkt wurde dieses Gefühl nachdem dann alle Teilnehmenden für ihre Anwesenheit noch ein eingepacktes Mittagessen und ein Handgeld bekamen.
Nichtsdestotrotz war es für mich eine weitere spannende Erfahrung nun auch selbst mal aktiv an einem Event teilzunehmen und eine Brainstorming Session anzuleiten. Darüber hinaus haben wir durchaus ein paar wertvolle Gedanken sammeln können, die uns in weiteren Projekten sicher weiterhelfen werden.
Wie bereits in vorherigen Artikeln angekündigt, verdient der Verkehr in diesem Land einen eigenen Blogartikel. Ich bin täglich mehrfach auf den ÖPNV angewiesen und würde mich nach bald sieben Wochen schon einen kleinen Experten nennen. Die Hauptverkehrsmittel sind in der Hauptstadt Keke und Bike. Neben diesen sieht man ansonsten eine Vielzahl an weißen 4x4 von verschiedensten Agencies und NGOs und vollbepackte Laster. Seit diesem Jahr gibt es nun auch eine Buslinien, die von der Regierung etabliert wurde – zum Unmut vieler Einwohner:innen. Wer sich etwas aus dem Stadtgebiet raustraut, der stößt auf „Taxen“ und „Poda Podas“.
An Wochentagen verlasse ich also die Wohnung, laufe die Treppe unseres Compounds hinunter und hoffe auf einen Bike-Fahrer vor der Tür. Wir wohnen noch in New England Ville und somit muss ich erst einmal einen Berg runterfahren, bis ich dann an der Hauptstraße ankomme. Die Jungs (weibliche Bike-Fahrerinnen habe ich bisher noch keine gesehen) fahren sehr regelmäßig den Berg in alle Richtungen rauf und runter und warten ansonsten gemeinsam am Fuß des Hügels auf Arbeit. Somit fahre ich entweder für vier Leone (circa 20 Cent) den Berg runter oder laufe etwa sechs Minuten, wenn ich kein Glück habe und kein Fahrer verfügbar ist. An der Hauptstraße wechsele ich dann das Bike oder steige in ein Keke und mache mich auf den Weg zum Congo Cross Roundabout. Die Fahrt mit einem Bike kostet etwa zwölf Leone (je nach Fahrer und meiner Motivation zu verhandeln, sind es zwischen zehn und 15 Leonen) und mit dem Keke, welches sich mit bis zu vier Personen geteilt wird, sind es acht Leone.
Was das Teilen von Verkehrsmittel angeht, habe ich hier schon alles gesehen: 4 Leute auf einem Bike oder fünf in einem Keke. Aber auch alle möglichen Lasten, wie Holz oder Tiere, werden mitgenommen. Auf dem Land sind es dann überlade PKW oder Vans, die von Dorf zu Dorf fahren – auch hier ist alles an „Gepäck“ zu sehen.
Für die Trips mit dem Bike trage ich immer einen Helm. Beifahrer:innen tragen grundsätzlich hier keinen und die Fahrer selbst meist einen kaputten, keinen oder den Helm so, dass er bei einem Unfall keinen Schutz bieten würde.
Der Straßenverkehr gilt als allgemein am gefährlichsten. Wie zuvor geschrieben, empfinde ich Sierra Leone als sehr sicher und schlafe deswegen auch ohne Sorgen draußen in der Hängematte im Busch. So sorgenfrei bin ich auf den Straßen nicht. Und das auch nicht ohne Grund: 2020 sind bei insgesamt 2 763 Unfällen insgesamt 867 Menschen im Straßenverkehr ums Leben gekommen und weitere 770 schwer verletzt (SL Telegraph, 2021). Somit sind in Sierra Leone 4,26% alle Tode direkte Folge des Straßenverkehrs, womit der westafrikanische Staat Rang 21 weltweit belegt. In Deutschland liegt dieser Wert bei 0,45%, was Platz 170 weltweit bedeutet (WHO, 2022). Egal ob Privatwagen, Keke, Bike, Poda Poda oder zu Fuß – die Straßen des Landes sind gefährlich.
Am Roundabout angekommen, sind es dann circa drei Minuten zu Fuß zur Arbeit. Diese Fahrt ist vergleichsweise sicher, da die Straße auf diesem Stück in einem guten Zustand ist. Anders ist das aber während des Feierabendverkehrs oder außerhalb der Innenstadt. Ansonsten gibt es noch den „Waka Fine Bus“ der sierra loenischen Regierung. Diese Buslinie soll den Stadtverkehr entlasten und eine sichere Alternative für Arbeitnehmer:innen und Schüler:innen auf ihrem Weg sein, führt aber nur zu noch mehr Chaos. Vor ein paar Wochen war ich bei einem Workshop, der von „MenEngage Sierra Leone“ veranstaltet wurde, bei dem wir ein Open-Space Konzept geübt haben. Für diese Methode brauchte es ein Thema, welches es daraufhin zu diskutieren gilt. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Busse gerade eingeführt und deshalb wollten alle über das gleiche Thema reden: die „unnötigen und nervigen“ Busse der Regierung. Durch diese wird nämlich der Zugang zu großen Verbindungsstraßen für Kekes an Wochentagen eingeschränkt, welche bis dahin das Haupttransportmittel für die meisten Menschen war. Somit sollten die Einwohner:innen Freetowns zum Nutzen der Busse „gezwungen“ werden. Diese verlangen aber einen Einheitspreis, egal wie lang man fährt, und haben nicht die nötigen Kapazitäten. So kommen viele morgens zu spät zur Arbeit oder Schule und müssen dazu noch mehr zahlen. Das Ergebnis: Fast niemand möchte die „Wake Fine Busse“ (eine Lösung für das Problem konnten wir bei unserer Diskussion nicht wirklich finden, aber zumindest konnten die Teilnehmenden ihre Wut ablassen).
Wenn ich gerade nicht in der Hauptstadt unterwegs bin, sondern für Greenlimba nach Kamakwie fahre, dann bewährt sich mein Helm ganz besonders. Nach der Fahrt im Taxi – was meist nichts anderes als ein ausrangiertes Auto aus dem globalen Norden ist und dem immer irgendwelche teile fehlen – von Freetown nach Makeni (für 250 nLe ~ 10€), wechsle ich zum Bike. Den ersten Teil der Strecke düst man noch über asphaltierte Straßen, mit mal kleineren und mal größeren Schlaglöchern, von Makeni nach Kamakwie gibt es dann aber fast nur noch „Dirt Road“. Das bedeutet, dass der Weg nur als Straße gilt, da die festgefahrene Fläche breit genug ist. Selbst Feldwege in Deutschland haben meist eine Befestigung durch Platten, hier gibt es überhaupt keine Befestigung (was besonders in der Regenzeit für viel Spaß sorgt). Mit einem Bike ist die Verbindung in guten 90 Minuten zu schaffen (Kosten sind auch hier 250 nLe ~ 10€), die Taxen und Poda Podas brauchen deutlich länger (Grund dafür ist ebenfalls, dass Passergiere überall auf dem Weg aussteigen können und die Fahrt sich alle dadurch verzögert – der Zustand der Wagen spielt selbstverständlich auch eine große Rolle). Vernünftige Gelände Wagen (also 4x4 und Blattfederung) halten bei dem Tempo des Bikes mit, da die vielen Schlaglöcher kein Problem darstellen.
Es ist also wahrlich jedes Mal ein Abenteuer, wenn man sich vor die Tür begibt. Entweder erwischte ich einen Fahrer, der mit so einem Tempo an Kekes und LKW vorbeifährt, dass die gesamte Fahrt einem Nahtoderlebnis gleicht oder der Verkehr stockt wieder so, dass man nur so am fluchen ist.
Zur Abb.: Auf dem Bild ist der Highway nach Waterloo zu sehen und die Straße versinkt wie so häufig im Chaos.
02/04/2024 - Jeder Tag zählt
Am letzten Freitag ging es wieder los. Raus aus der Hauptstadt und rein ins Holzboot. Am Abend zuvor packte ich also wieder die wichtigsten Sachen ein (Hängematte, Klamotten, Flaschen Wasser, Erste-Hilfe-Kit und Klopapier – ohne letzteres bleibt einem im Feld sonst nur die Möglichkeit einer Gießkanne) und lies den Abend vor dem Field Trip bei einem Pop-Up Space ausklingen. Bei diesem traten ganz verschiedene Künstler:innen auf und präsentierten in einem Poetry slam Format ihre neusten Texte. Viele thematisierten ihre Vergangenheit, Gewalt, Ungerechtigkeit und Korruption.
Am Freitagmorgen ging es erneut mit Bike, Keke und Taxi nach Fo-Gbo. An diesem Tag war auch der Präsident von Sierra Leone Maada Bio unterwegs. Aus diesem Grund war auf der gesamten Strecke von Hastings nach Waterloo eine Straßenseite gesperrt. So mussten LKW, SUVs, Kekes und Bikes auf einer zweispurigen Straßenseite Platz finden und das hat wenig überraschend überhaupt nicht funktioniert. Wir sind von Keke auf Bike umgestiegen, um irgendwie durch das Getümmel zu kommen und haben es nach circa einer Stunde geschafft. Angekommen in Fo-Gbo ging es zurück aufs Pampa und in Richtung Ribbimen, der ersten Community. Dieses Mal stand eine Datenerhebung bezüglich des Klimawandels auf der Agenda. Dafür ging es nach Ribbimen, Morchille und Moyambe.
Als Vorbereitung auf diesen Field Trip habe ich einen Fragebogen vorbereitet, den wir mit den Einwohner:innen der Dörfer durcharbeiten wollten. Im Anschluss des Trips sollten dann die Informationen in einem Stakeholders` Engagement besprochen und weitere Schritte geplant werden. Klar ist eins: Klimawandel ist keine Zukunftsmusik. Auch schon vor unserem Engagement ist klar, dass Küstenregionen weltweit und auch in Sierra Leone am meisten gefährdet sind.
Somit haben wir drei Tage Community Engagements durchgeführt, den Menschen zugehört und ihren Erfahrungen und Sorgen dokumentiert. Untergebracht waren wir wieder in Morchille und ich habe meinen „Campingplatz“ zwischen den Mangobäumen bezogen. Die Gespräche tagsüber waren sehr informativ und es war auf der einen Seite sehr interessant und auf der anderen Seite schockierend zu sehen, wie sehr die Menschen in der Region bereits heute unter unserem globalen Handeln und dem Klimawandel als Folge leiden.
Alle drei Communities berichteten uns von denselben Problemen und Herausforderungen: Extreme Wetterbindungen (sowohl während der Regenzeit als auch zur Trockenzeit), Überschwemmungen, Rückgang des Fischbestandes, kleiner werdende Ernte und weniger Trinkwasserreserven. Das Ganze führt zu weniger Einkommen in einem Land, indem die meisten Menschen bereits jetzt von extremer Armut betroffen sind. Dazu kommt das Nichtvorhandensein von Sanitäranlagen und eine enorme Geschlechterungerechtigkeit. Endgültig sind eben jene Faktoren Grund dafür, dass die Existenz dieser Menschen akut bedroht ist. Diese Punkte führe nicht ich an, sondern die Einwohner:innen der Communities sind sich all diesen Problemen bewusst.
Interessant an dieser Stelle fand ich auch die die neunte Frage des Fragebogens: „How can traditional knowledge and indigenous practices be integrated with modern approaches to enhance climate resilience and sustainable development in your community?”. So achten besonders die Fischer auf das Wetter und die Sternkonstellation, aber auch auf den „Spirit“. Es sei ein Gefühl, welches die Menschen in der Community haben, als ob ein Geist durch das Dorf geht. Wenn das der Fall ist, geht ebenfalls keiner der Fischer auf See. Im ersten Moment hörte sich das für mich durchaus befremdlich an, doch im zweiten Augenblick ergab es absolut Sinn. Nun ist Sierra Leone ist ein sehr gläubiges Land. 77% sind muslimischen Glaubens, 22% christlichen Glaubens und circa 2% fühlen sich einer anderen oder keiner Religion zugehörig (Regierung Sierra Leone, 2022). Wenn ich im Feld unterwegs bin, habe ich das Gefühl, dass es in diesen Regionen noch stärker ausgeprägt ist (was ja auch Sinn ergeben würde, da das Bildungsniveau hier geringer ist und Religion häufig ebenfalls Hoffnung schenkt). Auch solche Faktoren und traditionellen Praktiken müssen im Prozess berücksichtigt und respektiert werden.
In der Umfrage haben wir auch die „Vision-2030“ thematisiert. Zu diesem Punkt sollten die Teilnehmer:innen frei ihre Visionen und Wünsche für ihre Community für die nächsten fünf bis zehn Jahre äußern. Die häufigste Antwort war der Wunsch nach alternativen Möglichkeiten ihren Lebensunterhalten zu gestalten. Tätigkeitsfelder, die zum einen gegen dem Klimawandel vorgehen und zum anderen nicht von diesem bedroht werden. Aus diesem Grund fahren wir bei unserem nächsten Field Trip mit genau jenem Ziel zurück in die Communities und versuchen die Grundsteine dafür zu legen. Die Landwirtschaft resistenter zu gestalten, aber auch weitere Alternativen wie die Bienenzucht zu etablieren. Darüber hinaus war der Wunsch nach einer ausgebauteren Infrastruktur und mehr Bildungsmöglichkeiten (besonders für Kinder und Jugendliche) groß (im Umkreis der Dörfer gibt es eine Grundschule, aber keine weiterführende Schule) . Auch die Rolle und Wahrnehmung der Frau wurde thematisiert und alle Teilnehmenden haben sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit ausgesprochen. Nicht zu vergessen ist die finanzielle Unterstützung, welche dafür gegeben sein muss und welche sich auch die Einwohner.innen der Dörfer wünschen.
Mit gefüllten Notizblöcken und jede Menge Input für das anstehende Stakeholders` Engagement ging es dann am Sonntag zurück in die Hauptstadt. Auf dem Rückweg haben wir einen Wilderer auf frischer Tat ertappt, der Mangroven gefällt hat. Das Gebiet steht unter Naturschutz und soll eigentlich von Rangern patrouilliert werden, damit genau so etwas nicht geschieht. Wir haben das Holz und seine Werkzeuge konfisziert und den Täter den Rangern in Fo-Gbo übergeben. Diese erzählte uns dann, dass sie nicht die Kapazitäten haben und nicht genug von der Regierung unterstützt werden. Aus diesem Grund können sie ihrer Arbeit nicht vernünftig nachgehen. Auch diese Situation wird im anstehenden Stakeholders` Engagement thematisiert werden.
Eins war uns und mir schon vor dem Besuch in den Communities klar, aber wurde noch einmal ganz deutlich: Im Kampf gegen den Klimawandel zählt jeder Tag und es zählt der Einsatz von jedem einzelnen Menschen – ganz egal, ob in Sierra Leone oder in Deutschland. Dieser Kampf lässt sich nur gemeinsam gewinnen.
Zur Abb.: Auf dem Bild sitzen wir im Pampa auf dem Rückweg nach Fo-Gbo.
Wie ich in vorherigen Artikel bereits thematisiert habe, verspüre ich nach der Heimkehr von Aufenthalten im Globalen Süden eine Art „Drang“ wieder zurückzuwollen – zurückzumüssen. So war es ebenfalls nach meiner Backpacking-Reise durch Uganda. Nachdem ich im März 2023 zurück nach Deutschland kam, war für mich klar, dass ich zurückmuss. Ich habe also angefangen nach Möglichkeiten zu suchen, wie ich einen weiteren Aufenthalt südlich der Sahara gestalten kann. Gelandet bin ich dann wieder in Sierra Leone. Mittlerweile bin ich seit fünf Wochen wieder hier und kann ein erstes Zwischenfazit ziehen.
Während ich nach vier Wochen in Uganda eine Art Heimweh verspürte (obwohl ich dann zurück in Deutschland schnell wieder zurückwollte), ist das diesmal überhaupt nicht der Fall. Diesmal bin ich mit einer ganz anderen Einstellung an meinen Aufenthalt herangegangen. Nun ist ein knappes halbes Jahr ein sogenannter „mid-term stay“ und noch kein „long-term stay“, jedoch eine andere Hausnummer als ein paar wenige Wochen. Ähnlich lange war ich bisher nur während meines Erasmus in England außerhalb von Deutschland. Um ehrlich zu sein, hatte ich durchaus Respekt vor meinem Aufenthalt hier und wenige Tage vor meinem Abflug im Februar auch ernsthafte Zweifel, ob ich das Ganze überhaupt schaffe und durchstehe.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es genau diese Sorgen und Zweifel braucht, damit ein solcher Aufenthalt auch funktioniert. Ich habe mich diesmal darauf eingelassen und bin nicht als Tourist nach Sierra Leone gereist, sondern als Praktikant und Wissenschaftlicher Assistent. Das mag sich vielleicht lächerlich anhören, macht aber im Kopf einen enormen Unterschied. Ich weiß, dass ich einige Geburtstage, Partys und die Heim-EM in Deutschland verpasse, aber das nehme ich in Kauf und vor allem ist das ok. Ich nehme mir somit selbst jeglichen Druck und auch Heimweh kommt nur selten auf.
Nun ist meine Situation dazu noch etwas ungewöhnlich: Zwar kenne ich das Land etwas durch meinen ersten Aufenthalt, aber ich bin allein angekommen und habe keine institutionellen Strukturen, die mich vor Ort erst einmal aufgefangen und eingespannt haben. Das gab mir zum einen große Freiheit in der Planung, aber zum anderen kannte ich in Freetown auch so gut wie niemanden. Durch meine deutsche Arbeitskollegin und meine Mitbewohnerin konnte ich jedoch bereits nach wenigen Wochen gut Anschluss finden und fühle mich wirklich wohl.
Wenn ich also ein erstes Zwischenfazit ziehen müsste, würde dieses sehr positiv ausfallen. Ich bin gut angekommen und habe mich eingelebt. Heimweh habe ich keines, manchmal jedoch Fernweh nach einem Partyabend mit Freunden in Deutschland, einem vernünftigen Brötchen oder sicherem Straßenverkehr. Bei einem bin ich mir aber jetzt schon sicher, Ende Juli werde ich andersrum auch meine Freunde hier, die Abende am Strand oder bei Mango Peak vermissen.
Neben meiner Anstellung als Praktikant bei der Conservation Society (CSSL), bin ich bekanntlich auch Wissenschaftlicher Assistent bei Greenlimba (GLFSL). Als dieser habe ich die meiste Zeit Recherche-Aufgaben aus dem Homeoffice oder schaue mir die Aufforstungsflächen rund um Kamakwie an. Durch meinen Wohnsitz in Freetown kommen mittlerweile aber auch Behördengänge zu meinem Aufgabenbereich hinzu. So gestern: Für ein Service Level Agreement (SLA) bin ich zu dem Umweltministerium der sierra-leonischen Regierung gegangen - ohne Termin, was überraschend einfach war.
Sierra Leone ist, was für den einen oder die andere überraschend sein mag, nicht weniger bürokratisch als Deutschland. Als lokale NGO gibt es viele Voraussetzungen und Einigungen, die erfüllt und eingehalten werden müssen (was bei der Vielzahl an hier operierenden Organisationen auch durchaus richtig und wichtig ist) und sich die Regierung durchaus gut bezahlen lässt (beachte: auf die korrupten Strukturen in den Zulassungsprozessen (wie bei z.B. Minenarbeiten) gehe ich in diesem Artikel nicht ein). Neben Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis für Angestellte, kommen eine Registrierung bei der City Council, der Sierra Leone Association of Non Govermental Organisations (SLANGO), der National Revenue Authority (NRA) und weitere hinzu. Greenlimba mag zwar im westafrikanischen Busch ansässig sein und arbeiten, „es hat aber nichts mit dem Wilden Westen zu tun“ (so ein Angestellter der City Council in Kamakwie) und deshalb geht alles seinen behördlichen Weg.
Aus diesem Grund bin ich also am gestrigen Tag für Greenlimba zum Ministry of Enviroment gegangen, ohne einen Termin zu haben (vergleichbar ist dieses wohl mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Deutschland). Als ich ankam, wurde mir ohne Umstände der Weg zu den Büros des Ministeriums gezeigt – vorbei am Sicherheitsposten und ohne mich jemals nach einem Ausweisdokument zu fragen – und plötzlich saß ich in einem Büro. Daraufhin beschrieb ich mein Anliegen und der Angestellte holte seinen Vorgesetzten aus einem Meeting, der mir dann einmal den Prozess des SLA beschrieb und alle nötigen Unterlagen per Mail zugeschickt hat. Ganz ohne Probleme und mit allen Antworten war ich dann nach 15 Minuten fertig.
Als ich heute Morgen dann von meiner Erfahrung im Büro der CSSL erzählte, waren meine Kolleg:innen erstaunt. Diese kennen den Prozess anders, denn eigentlich braucht man einen Termin und kann dann ins Ministerium. Wie so häufig hier war meine Eintrittskarte gestern somit meine weiße Hautfarbe.
26/03/2024 - Dem Stress davon-klettern
Was machen, wenn einem die Arbeit in Freetown zu viel wird? Richtig, klettern! Ich selbst bin in einer komischen Position zwischen der Bubble der „Locals“ und „Internationals“ hier in der Hauptstadt. Auf der einen Seite arbeite ich täglich mit vielen Sierra Leoner:innen zusammen und wohne auch mit einer Westafrikanerin zusammen und auf der anderen Seite treffe ich abends dann bei verschiedenen Aktivitäten auf andere Menschen aus dem Globalen Norden, die hier ebenfalls für die verschiedensten Organisationen arbeiten.
Ich denke durchaus, dass das eine sehr gute Mischung ist, um während meiner begrenzten Zeit hier einen repräsentativen Eindruck von Land, Kultur und Arbeits- und Privatleben zu bekommen. Zum einen sitze ich bei Field Trips zusammen mit meinen Arbeitskollegen vor einem großen Teller Reis und wir reden über ihr Sozialleben, ihr Heimatland und Religion und auf der anderen Seite erzählen mir andere Internationals von ihrer jahrelangen Erfahrung im Land bei einem Bier auf den Partys am Wochenende (dazu sei gesagt, dass Locals hier mindestens genauso gerne feiern gehen und ich bereits ebenfalls so Nächte am Wochenende verbringen durfte).
Die Wochenendgestaltung variiert immer und zurzeit ist diese besonders durch den Fastenmonat eingeschränkt, aber unter der Woche ist mein Alltag häufig sehr ähnlich. Zum einen verbringe ich viel Zeit in unserer WG (die ich ganz nebenbei sehr glücklich über Facebook gefunden habe) oder gehe klettern. Was sich im ersten Moment etwas komisch anhören mag, ist jedoch in Freetown ganz normal. Viele Angestellte von NGOs oder staatlichen Institutionen treffen sich bei „Climb Salone“ von Matthew und bouldern abends zusammen. Wenn der Arbeitstag oder Alltag in der Hauptstadt mal wieder zu viel wird (was mir mindestens einmal in der Woche so geht), geht man in seiner kleinen Bubble und „heilen Welt“ klettern.
Durch die Preise (950 nLe pro Monat (~38 Euro) für Internationals, Locals zahlen circa die Hälfte) sind überwiegend Weiße hier anzutreffen, was manchmal aber durchaus guttut. So kann man sich über gemeinsame Herausforderungen mit Wetter, Krankheiten oder Verkehr austauschen und ganz nebenbei dem Stress davon-klettern. Danach geht es meist in die Bar „Mango Peak“ auf ein Bier und weitere nette und lockere Gespräch – ganz egal, welche Position die Person tagsüber innehat und wie viel Einfluss sie haben mag.
22/03/2024 - Opoto
Das vergangene Wochenende waren wir das erste Mal im Gelände. Im Vergleich zu anderen Abteilungen bei der CSSL ist das Yawri Bay Team tatsächlich sehr regelmäßig außerhalb des Büros unterwegs und besucht die Aufforstungsflächen und veranstalten verschiedene Community Engagements in der Region. Dieses Mal stand ein VSLA-Training (Village Savings & Loan Association) auf dem Programm. Für mich war es der erste „Field Trip“ in meinem Praktikum.
Die Idee meines Blogs ist es, dass ich meine Geschichten aus Sierra Leone teile. Das sind nicht immer die schönen Erfahrungen mit Land und Leuten, ein kaltes Bier am Strand oder interessante Gespräch mit ganz verschiedenen Menschen… es sind die aus meinem normalen Alltag. Und so durfte ich am Morgen unseres Field Trips mit Magenproblemen aufwachen. In dem Wissen, dass die nächsten Tage überaus anstrengend und der Zugang zu Örtlichkeiten begrenzt sein werden, musste ich mich nun entscheiden: Trotzdem mitfahren und auf das Beste hoffen oder absagen und diese Möglichkeiten verpassen.
Ich habe mich trotzdem auf den Weg von Freetown nach Tombo gemacht. Ich wurde von Momo („meinem“ Bike Driver) abgeholt (da der Straßenverkehr hier allgemein eine Katastrophe ist und einen eigenen Blogartikel verdient, fahre ich immer mit dem gleichen Fahrer, dem ich vertraue). Momo hat mich bis Jui gebracht, wo ich mich dann mit meinem Arbeitskollegen treffen sollte. Dieser ließ „typisch salonisch“ auf sich warten. Die Wartezeit habe ich mit einer Cola und einem Bueno überbrückt und 30 Minuten später kam er dann. Daraufhin sind wir mit einem Taxi (was nichts weiter als ein ausrangiertes Auto aus dem globalen Norden ist) nach Waterloo gefahren, von wo aus wir dann zum Keke (ein Dreirad) wechselten. Angekommen in Tombo mussten wir dann gute 20 Minuten mit einem nächsten Bike durch den Busch. Die Bikes hier sind recht kleine Maschinen und für zwei Personen ausgelegt. Üblicherweise sitzen aber mindestens drei Leute (ein Fahrer und zwei Passagiere) auf diesem – so auch diesmal. Wir teilten uns ein Bike und düsten über Stock und Stein, mit wenig Comfort, zu dem „Hafen“ in Fo-Gbo.
Das Wort Hafen suggeriert nun ein ausgebautes Hafenbecken mit ein paar Stegen und eine Reihe an schicken Booten, manche größer und manche kleiner – aber alle in gutem und gepflegtem Zustand. Was mich aber begrüßt hat, war ein Sumpfbecken und kein einziges Boot. Nachdem dann das gesamte Team (bestehend aus Mitarbeitern von Green Life West Africa und CSSL) nach weiteren zwei Stunden warten vor Ort angekommen war, ging es dann los… durch dieses Sumpfbecken. Also Schuhe aus, Hose hoch und ab durch den Matsch. Nach circa 30 Metern sammelte uns dann ein kleines Holzboot ein, welches uns zu einem größeren Holzboot brachte. Das „Pampa“, wie man dieses große Holzboot hier nennt, sollte uns die nächsten Tage von Community zu Community in der Yawri Bay transportieren.
In Badelatschen und abgetrennter Zip-Hose saß ich nun da und wir schipperten auf einem Seitenarm der Yawri Bay von Bangawilli nach Ribbimen. Das Boot ist an Einfachheit kaum zu übertreffen. In einem Telefonat mit einem Freund habe ich es wie folgt beschrieben: „Wenn du dir vorstellt, dass ein Kind ein Holzboot zeichnet und die Zeichnung dann als Bauplan genutzt wird, dann kommt so ein Boot dabei raus.“. Diese Beschreibung finde ich bis jetzt sehr zutreffend. Außer ein paar Bretten zum Sitzen und einer dem Motor gibt es nur einen aufgeschnittenen Plastikcontainer an Board. Mit besagtem Container wird dann während der Fahrt Wasser aus dem Boot zurück in den Fluss geschöpft. Denn: Das Boot läuft stetig mit Wasser voll. Unsere Fahrt in dieser Holzschale dauerte ungefähr 90 Minuten und lediglich mein Magen machte mir ein wenig Probleme. Angekommen in der ersten Community trugen wir alle notwendigen Materialien für das Training an Land. Wie üblich stellte uns jemand aus dem Dorf Plastikstühle zur Verfügung und wir warteten darauf, dass sich alle zum Workshop versammelten.
Bei diesem ersten Engagement vegetierte ich mehr vor mich hin, als dass ich teilnahm und wollte es einfach durch den Tag schaffen. Die Magenprobleme vom Morgen machten mir weiterhin zu schaffen. Mein Arbeitsauftrag war größtenteils leidglich Bilder zu machen und den Prozess zu dokumentieren. Wir bauten also eine Flipchart auf (wir haben das Flipchart-Papier an einen Baum gebunden – funktioniert hat es selbstverständlich nicht wirklich) und starteten das Engagement. Nach ungefähr einer Stunde und ein paar Keksen kam ich zurück zu etwas Energie und der restliche Workshop war überaus interessant. Nach dem Abschluss in der ersten Community machten wir uns auf Bikes auf den Weg nach Morchille, wo wir unsere nächsten beiden Nächte verbringen sollten. Wieder zu dritt auf Waldwegen, diesmal aber mit deutlich besserer Laune.
Angekommen in Morchille haben wir Reis und Groundnut-soup (Also eine Suppe/ Soße aus Erdnüssen) mit Krabben aufgetischt bekommen. Die Krabben waren erneut komplett gekocht worden, weshalb ich nicht wusste, wie man diese essen sollte und ich lieber bei Reis und Suppe blieb. Schlafen sollten wir in einem für uns zur Verfügung gestellten Bett, was eigentlich den Kindern einer Familie aus der Community gehörte. Ohne jetzt zu übertreiben, war das die schlimmste Unterkunft, die ich jemals gesehen habe. Als ich den Raum betreten habe, begrüßte mich die erste Kakerlake an der Wand und die Luft in dem Zimmer stand. Draußen waren es circa 27 Grad und angenehm windig. In diem Lehmhaus waren es mindestens 35 Grad und tropisch schwül. Ich legte mich trotzdem auf das Bett und versuchte zu schlafen. Einer der Bewohner schaltete noch einen kleinen Fernseher an und es lief eine westafrikanische Produktion. Durch ein Solarpanel hat das Haus etwas Strom, der zum Aufladen von Akkus und eben jenen Fernseher genutzt wird. Die Matratze war aus Stroh und so hart wie Stein. Auf dem Moskitonetz lagen Schulbücher und Klamotten der Kinder, die eigentlich in diesem Bett schlafen.
Ich habe es ungefähr 30 Minuten in dem Zimmer ausgehalten. Dann hatte ich eine Idee: Von meiner letzten Reise nach Uganda hatte ich eine Hängematte mit integriertem Moskitonetz, die ich in meinem Rucksack dabeihatte. Ohne zu wissen, was mich im Feld erwarten würde, habe ich neben der Hängematte auch noch ein Multi-Tool, Erste-Hilfe-Set und einen Kompass mitgenommen. All diese Gegenstände brauchte ich nicht. Die Hängematte sollte aber zum Einsatz kommen. Ich zog mich wieder an und setzte mich komplett verschwitzt vor das Haus an ein kleines Lagerfeuer. Ich überlegte kurz und beschloss dann, dass ich die Nacht draußen in der Hängematte verbringen werde.
Um die Gastfreundschaft nicht zu verletzen, habe ich zuerst mit meinem Vorgesetzen über meinen Plan geredet und dieser sah darin überhaupt kein Problem. Das Bild der Hängematte mit einem „Weißen“ drin, war für alle sehr amüsant. Ich hing also die Hängematte zwischen zwei Mangobäumen auf. Zwei gegenüberliegende Äste hatten die ideale Höhe, beide Bäume waren ungefähr 15 Meter hoch und somit stark genug. Bei angenehmen 25 Grad und leichter Brise schlief ich dann die Nacht durch. Am nächsten Morgen waren dann alle sehr neidisch auf meinen Schlafplatz im Freien, da es im Haus nicht auszuhalten gewesen sei, was ich mir gut vorstellen konnte. Die Luftqualität wird sich keineswegs verbessert haben, da neben unserem Team nämlich mindestens weitere vier Erwachsene und sechs Kinder geschlafen haben.
An unserem zweiten Tag im Feld habe ich mich deutlich motivierter und fitter gefühlt und wir haben uns nach Tee und trocken Brot auf den Weg zum nächsten Standort gemacht. An diesem haben wir in einer Grundschule das Engagement durchgeführt und alle der Teilnehmenden waren hoch motiviert. Die Teilnehmenden wurden bereits bei dem letzten Aufenthalt von CSSL in den Communities festgelegt und auf 25 Frauen und fünf Männer beschränkt. Aufgrund dieser Aufteilung wurde ich auch von einem Mann, welcher Teil des Dorfes Morchille ist, angesprochen und gefragt, warum denn fast nur Frauen mitmachen dürfen. Als ich ihm erklärte, dass Frauen und Mädchen die verletzlichste und am meisten ausgenutzte Gruppe in der Gesellschaft sind, gab es seinerseits weiterhin kein Verständnis. „Männer könnten das ja viel besser und außerdem war das ja auch schon immer so“. Das Gespräch mit ihm führte somit leider zu keinem gemeinsamen Nenner und ich gab es irgendwann auf. Nach den ersten zwei Stunden des Workshops legte ich mich im Nebenraum auf eine Holzbank und machte einen kleinen Mittagsschlaf. Im Anschluss an diesem beendeten wir das Engagement und machten noch ein Gruppenbild.
Das zweite Dorf an dem Tag war Moyambe und dort wurde ich als „Opoto“ (Weißer Mann) direkt mit einer Ananas begrüßt, die mir einer der Anwohner schenkente (die anderen aus dem Team bekamen nichts). Als eben jener „Opoto“ sollte ich auch in dieser Community wieder ein paar Worte zur Begrüßung sagen. Das war auch in den ersten beiden schon so. Die Aufforderung zu einer kleinen Ansprache fühlten sich für mich immer so an, als ob ich eine Art Aushängeschild wäre. Denn es war komplett egal, was ich sage und ging lediglich darunter, dass ich irgendetwas sage (die Sprachbarriere war hier das größte Problem, da die Bewohner Temne sprechen (eine von 16 Sprachen in Sierra Leone) und Englisch kaum bis gar nicht verstanden). Diese dritte Community war überaus motiviert und somit hat der Workshop auch richtig Spaß gemacht (die Ananas mag zu meiner guten Laune beigetragen haben).
Am Abend gab es wieder Reis und ich habe von diesem Punkt an gesagt, dass ich Vegetarier bin, um keine weiteren Diskussionen über mein Essverhalten führen zu müssen. Denn auch bei diesem Gericht begrüßte mich eine Krabbe und ich war erneut überfordert. Nach einer weiteren Nacht in der Hängematte ging es früh morgens dann nach Samu. Nachdem ich um 7:00 Uhr geweckt wurde, hatte ich 15 Minuten Zeit mich fertig zu machen und „mein Lager“ abzubauen. Nach einem Marsch durch Mangrovenwälder im knietiefen Wasser kamen wir dann bei unserer Pampa an und machten uns auf den Weg durch ein Flusssystem zum Atlantik. Auf diesem schipperten wir weitere zwei Stunden, bis wir in Samu ankamen. Die Fahrt auf den Seitenarmen der Bucht machten mir nicht wirklich etwas aus, das war auf dem offenen Meer aber anders. Spätestens als kein Land mehr in Sicht war, bekam ich durchaus etwas Respekt - später mehr dazu.
Der Workshop in Samu verlief nicht wie gewünscht. Die Teilnehmenden haben wenig Interesse gezeigt und nur schlecht mitgemacht. Außerdem war die Town Hall als Standort suboptimal und die Geräuschkulisse dadurch sehr laut. Am Ende hat das Engagement wieder etwa drei Stunden gedauert und wir hingen unserem Zeitplan etwas hinterher. Nichtsdestotrotz machten wir uns auf den Weg zurück zum Boot und in Richtung Shengebull, der letzten Community.
Nach einer Bootsfahrt, die ich meinen schlimmsten Feinden nicht wünschen würde, kamen wir gegen 17 Uhr an unserer Destination an. Auf dem Wasser fragte ich mich immer wieder, warum ich nicht einfach ein Praktikum in Deutschland gemacht habe. In irgendeinem Büro in Hamburg. Morgens mit der U-Bahn zur Arbeit fahren und abends wieder zurück. Aber nein, ich fahre mit Bike, Keke, „Taxi“ und Holzboot durch Sierra Leone. Bei jeder Welle (der Wellengang war im Vergleich zum Morgen nun deutlich stärker) dachte ich, dass wir jetzt kentern. Kurz vor Shengebull sind wir auf eine Sandbank gefahren und ich dachte es sei um mich geschehen. Dem war nicht der Fall. Wir trugen also erneut alle Materialien für das letzte Engagement an Land und starteten direkt mit der Arbeit. Uns allen merkte man an, dass wir die Zeit im Feld nur noch „hinter uns bringen“ wollten. Gesagt, getan. Auf den Workshop folgte ein letztes Mal ein weiteres Reisgericht und ich baute meine Hängematte auf – mittlerweile wurde das auch von meinem Team vorausgesetzt und gar keine Unterkunft mehr für mich organisiert.
Nach den vergangenen zwei Nächten freute ich mich sogar auf mein Schlafgemach und legte mich dann gegen 20:30 Uhr hin. Diesmal hing ich nicht hinter dem Haus der anderen, sondern direkt am Strand – etwas weiter von allen anderen entfernt. Nach wenigen Minuten hörte ich Stimmen neben mir. Als ich hochschaute, blicken mich etwa acht Kinder an. Sie standen im Halbkreis um mich herum. Im ersten Moment war ich überfordert und wusste gar nicht was mir geschieht. Auf meine Frage, was sie denn hier machen würde, kam die Antwort: „we want to look at you“. Ich wusste überhaupt nicht was mir geschieht. Recht schnell sagte ich dann aber, dass das so nicht geht und alleine sein möchte. Die Kinder blieben.
Nun würde ich von mir sagen, dass ich nach meinen Aufenthalten in Sierra Leone und Uganda mittlerweile recht sensibilisiert bin und tagsüber auch immer ansprechbar und auch anfassbar bin (viele Kinder kommen auf mich zu und umarmen mich oder wollen meine Haare anfassen) – das Ganze hat aber auch seine Grenzen. Ich kann jegliche Neugier verstehen und besonders in den sehr ländlichen Regionen lassen sich wenige weiße Menschen blicken, wenn ich jedoch in Unterhose in der Hängematte liege, dann möchte auch ich irgendwann mal etwas Privatsphäre. Da die nette Ansage nicht wirkte, wurde auch ich dann etwas deutlicher und schicke die Kinder weg. Es folgte noch eine weitere Gruppe, bis ich dann endlich schlafen konnte.
Wer diese Geschichten hört, wie ich alleine draußen in einer Hängematte schlafe, mag sich nun fragen: Ist das denn sicher? Die einfache Antwort: Ja. Ich habe bereits in Groß- und Kleinstädten überall in Europa gewohnt und Zeit verbracht und mich nirgendwo so sicher gefühlt, wie hier. Seit dem Bürgerkrieg während der Jahrtausendwende sind Menschen hier sehr friedlich und verabscheuen jegliche Gewalt (Ausnahmen gibt es selbstverständlich in jedem Land).
Am nächsten Morgen wachte ich also auf und putze mir die Zähne am Strand. In diesem Moment wusste ich dann auch wieder, weshalb ich mein Praktikum in Sierra Leone und nicht in irgendeinem Büro in Hamburg mache… An die 30 grad, ein menschenleerer Strand und im Osten ging die Sonne auf – und das alles nur wenige Meter von meiner Hängematte entfernt. Ich wartete auf den Rest des Teams, damit wir die Heimreise antreten konnten. Diese ließen jedoch auf sich warten, da sie, wie sich später herausstellte, die Nacht in der Distrikt-Hauptstadt Shenge verbracht hatten, wo es ein vernünftiges Guesthouse und kaltes Bier gibt. Im ersten Moment war ich etwas neidisch, dass ich nicht gefragt wurde, dann war ich aber umso glücklicher mit meiner schönen „Unterkunft“. Als wir dann schlussendlich wieder im Boot und auf dem Atlantik waren, habe ich mir geschworen, diesen Spaß nie wieder mitzumachen. Draußen schlafen, keinen Strom, kein fließendes Wasser und überhaupt keine Hygiene (z.B. eine Toilette – Stichwort Magenprobleme). Nach diesen Tagen im westafrikanischen Busch brauchte ich dann erst einmal eine Nacht am Strand. Diesmal war es Bureh. Am Dienstagvormittag trat ich dann endgültig meinen Heimweg nach Freetown an.
Nach ein paar Tagen empfand ich ein mir bekanntes Gefühl: ein Kribbeln in den Fingern. Das habe ich sonst nur, wenn ich ein paar Wochen nach einem Aufenthalt südlich der Sahara wieder zurück in Deutschland bin. Diesmal war es aber der Reiz wieder ins Gelände zu wollen. Dahin zurück, wo ich nie wieder hinwollte. Am 29. März geht es wieder los – wieder in den westafrikanischen Busch.
Zur Abb.: Das Boot (r.) ist das "Pampa", mit dem durch die Yawri Bay ging.
13/03/2024 - „Cassava Leaves or Beanes?“
Als ich heute Morgen ins Büro gekommen bin, habe ich den beiden anderen aus meinem Team „Donuts“ mitgebracht. Was sich im ersten Moment nach einem runden, mit zuckerübergossenen, Gebäck mit Loch in der Mitte anhört, ist hier nicht mehr als ein in Palmöl frittierter Ball aus Teig. Diese „Donuts“ sind einer der klassischsten Snacks in Sierra Leone. Als ich mit meiner Mitbewohnerin über den Fastenmonat Ramadan und die Küche des Landes gesprochen habe, sagte sie mir, dass sie eigentlich viel lieber für diese Zeit in ihre Heimat reisen würde, da das Essen dort „besser“ sei (sie kommt von der Elfenbeinküste, sprich auch aus einem westafrikanischen Land). Doch, stimmt das?
Bei meinem ersten Aufenthalt in Sierra Leone durfte ich bereits eine Reihe an verschiedenen nationalen Gerichten probieren. Mein Fazit: viel Reis und sehr scharf. Viel hat sich an dieser Erkenntnis bis heute tatsächlich nicht geändert. In den Wochen vor meinem zweiten Aufenthalt wurde ich vermehrt gefragt, was man „da denn so isst“. Aufgrund des Unwissens vieler kam auch die Frage auf, ob es denn „überhaupt genug Essen gibt“ und ob ich nicht „verhungern würde“.
Die meisten Morgen gehe ich mit einem Kollegen aus dem Büro los und hole „Lafidi“. Das Gericht ist typisch in Westafrika, stammt ursprünglich aus Guinea und wird dem Stamm der Fula zugeordnet. Bei uns in der Straße wird der Reis (wie fast in jedem Gericht vorhanden) simpel mit einigen Gewürzen, Samen (z.B. Sesam) und Maggi verkauft. In anderen Regionen und Ländern weichen die Zubereitungen ab (häufig gibt es zu dem Gericht auch Fisch). Durch den Fastenmonat, welcher vor ein paar Tagen gestartet ist, gibt es viele Stände zurzeit jedoch nicht. Die Frauen an den Ständen arbeiten während dieser Zeit nicht. Aus diesem Grund sind wir zu einer anderen Dame gegangen, bei der es Cassava Leaves und Beanes mit… Reis gab.
Die Cassava-Pflanze ist eine der populärsten in Sierra Leone und wird in unterschiedlichsten Formen genutzt. Nun gebe ich offen zu, dass ich wahrlich kein begabter Koch bin und meistens nur das bereits gekochte Essen sehe, aber bei der Pflanze werden zum einen primär die Blätter zu einer Art Soße/ Pesto verarbeitet (und häufig mit Hähnchen und/ oder Fisch und dazu Reis kredenzt) und die Wurzel (auch „Maniok“ genannt) gebraten und auf der Straße verkauft. Besonders gut schmeckt Maniok übrigens mit Butter. Darüber hinaus kann die Pflanze auch zu „Acheke“ (was Couscous ähnelt) oder zu „Garri“ (einer Art Mehl) verarbeitet werden.
Bei dem Blick auf den Teller meines Nachbars heute Morgen lächelte mich ein Fischkopf an und ich folgerte, dass die Cassava Leaves klassisch mit Fisch gekocht wurden. Auf die Frage der Köchin, ob ich Cassava Leaves oder Beanes möchte, antwortete ich dann „Beanes, please!“ – in der Hoffnung, dass ich dann eben keinen Fisch bekommen würde (dieser wird nämlich meist nur von seinen Innereien befreit und dann komplett gekocht). Falsch gedacht: auch in den Beanes war Fisch und zu meiner Freude wurde auch nicht mit dem Chili gespart, was meinem Magen immer besonders viel Spaß bereitet. Ich würde von mir selbst sagen, dass ich mit scharfen Essen vergleichsweise gut umgehen kann, aber das ist hier etwas anders. Aus diesem Grund sage ich auch immer (wenn es denn noch möglich ist), ich hätte gerne nur ganz wenig Chili – was ganz nebenbei immer noch recht scharf ist.
Reis wird ansonsten noch als Fried Rice mit Hähnchen oder in den Küstenregionen mit anderen Meeresfrüchten und dem „catch of the day“ (was sich meist jedoch lediglich die Oberschicht leisten kann) gegessen. Ansonsten gibt es noch eine Vielzahl an Früchten wie Bananen, Ananas, Mangos etc.
Meine Mitbewohnerin ist letztendlich nicht zur Elfenbeinküste gereist und absolviert den Fastenmonat mit den lokalen Speisen hier. Die Abwechslung mag in Sierra Leone geringer sein, um aber die vielen besorgten Stimmen zu beruhigen: Es gibt hier mehr als genug Essen für mich und satt werde ich bei den großen Mengen Reis allemal.
Als Hintergrundinformation: Mit dem nötigen Kleingeld lässt sich in der Hauptstadt fast alles organisieren. Das gilt auch für die Kulinarik. Wem hier nach einem Hamburger oder einer neapolitanischen Steinofenpizza (!!!) ist, der wird nicht enttäuscht. Nur werden für „westliche“ Gerichte auch „westliche“ Preise abgerufen. So kostet eine Pizza am Lumley Beach schon mal $12-15.
Zur Abb.: Das Gericht sind die Blätter der Cassava-Pflanze. Hier klassisch mit Reis.
12/03/2024 - "Give Me Money!"
Es sind nun bald drei Wochen, die ich bereits in Sierra Leone bin. Die erste Woche habe ich in Freetown verbracht, daraufhin ging es obligatorisch an den Strand (diesmal war es Tokeh) und die vergangene Woche war ich das erste Mal wieder in Kamakwie. Allein in diesen ersten Tagen und Wochen konnte ich eine Reihe an sehr interessanten und einflussreichen Menschen treffen. Auf der einen Seite Verantwortliche aus der europäischen, deutschen und amerikanischen Botschaft und viele junge Menschen von verschiedensten Organisationen aus der ganzen Welt und auf der anderen Seite einige Sierra Leoner:innen, mit den unterschiedlichsten Geschichten. Viele dieser Geschichten sind geprägt von der Suche nach Geld, Zugehörigkeit und einem "besseren" Leben und darüber hinaus von Glauben und Dankbarkeit.
Wer sich in einem Land wie Sierra Leone engagiert und arbeitet, wird tagtäglich mit Leid, Hunger und Armut konfrontiert. Das macht die Arbeit hier zum einem sehr wichtig, aber häufig auch wirklich fordernd. In diesem Kontext ist es dazu ebenfalls häufig eine Gradlinienwanderung der "political correctness". Selbstverständlich steht ein Land wie Sierra Leone genau so dar, wie es heute dasteht, weil es seit Jahrhunderten ausgebeutet wird. Und von wem? Den Ländern des Globalen Nordens. Ob es die Kolonialzeit, die Jahrzehnte nach seiner Unabhängigkeit 1961, die Jahre nach dem Bürgerkrieg während der Jahrtausendwende war oder die Gegenwart ist (über jede dieser angesprochenen Ereignisse ließe sich problemlos ein eigenes Buch schreiben), ausländische Mächte haben immer wieder Einfluss auf den westafrikanischen Staat genommen. Sie haben korrupte Strukturen genutzt, um den größtmöglichen Gewinn für sich herauszuschlagen. Viele Strukturen in Sierra Leone sind typisch neokolonial und führen lange verankerte Denkmuster und Machtasymmetrien im Land und in den Köpfen vieler Menschen bis heute fort.
So ist es völlig selbstverständlich, dass "der weiße Mann" für Essen und Geld sorgt. Egal, ob ich in Makeni, Freetown oder Kamakwie über die Straße gehe, ein Satz begleitet mich immer: "Give me money!". Ein weiteres Beispiel hierfür sind Abende auf der Terrasse in Kamakwie: Bei einem kalten Bier aus der Tiefkühltruhe, die mit Energie aus den Solarpanelen betrieben wird, sitze ich mit meinem Vater und Marion nach einem Arbeitstag nun da. Immer wieder laufen Kinder an uns vorbei und grüßen uns. Neben den Rufen "Good evening, Mr. Ben" und "Hello, Lars and Marion" kommen immer wieder auch die Fragen nach Geld und Essen. Was würdest du in dieser Situation nun tun?
Als Hintergrundinformation: Sierra Leone ist statistisch eines der ärmsten Länder dieser Welt. Das BIP pro Kopf pro Jahr liegt bei $475,8 (hierbei handelt es sich um den Mittelwert und nicht den Median. Somit ist zu vermuten, dass das Einkommen der meisten Menschen im Land noch weit unter diesem Wert liegt) (Weltbank, 2022). Nach der Definition der Weltbank sind Menschen extrem von Armut betroffen, wenn sie weniger als $2,15 am Tag zur Verfügung haben. Sie Hochgerechnet auf ein Jahr würde das knapp §785 ergeben. Deutlich wird: viele Menschen hier sind extrem arm. Die meisten leben von Tag zu Tag. Kann man einem Kind nun verübeln, wenn es „drei reiche Weiße“ (und im Vergleich zu vielen hier sind wir das zwangläufig einfach) beim Bier trinken um Geld bittet? (Ein Bier kostet umgerechnet übrigens etwas weniger als $1,5.) Selbstverständlich nicht, denn dieses Kind wird höchstwahrscheinlich ohne eine Mahlzeit ins Bett gehen. Was also tun?
Wer diese Zeilen liest und noch nie im Globalen Süden war, an einem Vorbereitungsworkshop für einen solchen Aufenthalt teilgenommen hat oder sich allgemein noch nie mit dieser Thematik beschäftigt hat, wird wahrscheinlich zu dem Entschluss kommen, dem Kind etwas zu essen oder gar Geld zu geben. Und dann? Was würde am nächsten Tag geschehen? Es würde wiederkommen und das wahrscheinlich nicht alleine. Nun könnte man natürlich sagen, dass man dann eben zwei oder drei Kindern etwas Geld gibt, was sich die meisten von uns auch zweifelslos leisten könnten. Die Folge wäre dann nur, dass sich genau diese Abhängigkeit und Denkmuster weiter verfestigen. Das ist es, was viele Organisationen seit Jahrzenten machen. Frei nach dem Motto: "If it doesn´t work, throw money at it". Genau das sind die angesprochenen und lange verankerten Denkmuster und Machtasymmetrien in diesem Land.
So schwer ist mir jedes Mal fällt, eben jenes Kind wegzuschicken, umso wichtiger ist es. Wenn man dies nun auf einer anderen, einer höheren, Betrachtungsebene sieht, dann muss es das Ziel internationaler NGOs und Organisationen sein, Hilfe zur Selbsthilfe zur leisten und nicht einfach nur Geld in ein Land zu pumpen – denn letzteres funktioniert seit Jahrzehnten hervorragend in Sierra Leone. Nun bleibt die Frage offen: Was würdest du also tun?
Um diesen Blogeitrag zu schließen und vielleicht einen weiteren Denkanstoß zu geben, zitiere ich meine Mitbewohnerin hier in Freetown. Sie selbst ist vor sieben Jahren von der Elfenbeinküste nach Sierra Leone gekommen und hat lange für eine Schweizer NGO gearbeitet. Vor ein paar Tagen saßen wir abends auf dem Balkon und haben über Freetown geschaut und über Gott (bzw. Allah) und die Welt geredet. Wir haben über ihre Zeit in Sierra Leone, meine Arbeit hier und die dahinterstehende Motivation geredet und was sie über all diese Dinge denkt. Dabei ist mir ein Satz ganz besonders im Gedächtnis geblieben: "I wish white people would´ve never come to our continent.". Sie sagt selbst, dass es viele "gute" NGOs und Menschen bei diesen gibt, aber bis heute viele Akteure afrikanische Länder weiterhin ausbeuten – ein Trend, welchen ich am Anfang dieses Beitrags bereits ansprach. So offensichtlich und simpel ihr Satz scheinen mag, umso aussagekräftiger finde ich diesen.
Zur Abb.: Die Scheine auf deinem Bild sind noch die alte Währung SL's - mittlerweile wurden bei jedem Schein zwei Nullen "gestrichen". 1000 Le (der grüne Schein) sind heute 10Le. 1€ sind circa 24Le - der Wechselkurs ist über die vergangenen Monate relativ stabil.
06/03/2024 - Zurück in Sierra Leone
Nach ziemlich genau zwei Jahren hat es mich erneut nach Sierra Leone verschlagen. Ich bin mittlerweile seit knapp zwei Wochen wieder im Land, aber so „richtig angekommen“ bin ich erst seit ein paar Tagen.
Im Frühjahr 2022 war ich als Praktikant für den Förderverein „Mahmoo e.V.“ einen Monat lang in Kamakwie. Damals war das mein Pflichtpraktikum während des Bachelors. Dieses Mal ist mein Aufenthalt freiwillig und (noch) unbezahlt . Zum einen werde ich als Praktikant für die „Conservation Society of Sierra Leone (CSSL)“ und zum anderen als wissenschaftlicher Assistent für die „greenlimba Foundation Sierra Leone (GLFSL)“ arbeiten (Abkürzungen lieben hier alle). Die CSSL hat ihren Sitz in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, und beschäftigt sich mit einer Vielzahl an Umweltprojekten im Land. Bei dieser bin ich Teil des Yawri Bay Teams, welches sich mit der Aufforstung und dem Schutz des Mangrovenwaldes beschäftigt. Diese Bucht liegt südlich der Halbinsel, auf der beispielsweise auch die Hauptstadt lokalisiert ist. Die Menschen in dieser Region (meist Fischer (Fischerinnen gibt es hier nicht)) sind die Ärmsten im Land und gleichzeitig am meisten vom Klimawandel betroffen. Die Mangroven bilden einen natürlichen Schutz für die Küstenregionen und - neben einer Reihe an weiteren Vorteilen - speichern diese auch viermal so viel CO2 wie andere Regenwaldbäume. Mangroven bieten somit eine enorm große Chance für die Menschen in der Region, das Mikro- und Makroklima. Aus diesen Gründen müssen diese unbedingt geschützt und deren Bestand aufgeforstet werden. Besonders wertvoll bei diesem Projekt ist das Community Engagement für mich. Ich möchte die Denkweise der Menschen in der Yawri Bay und ihren Alltag besser verstehen und mich so im Umgang mit ihnen und bei der Umsetzung unserer Arbeit besser verhalten. Eine große Herausforderung ist in diesem Kontext auch die Wissensvermittlung an „Mixed Communities“ (also Communities, in denen nicht alle Menschen lesen und schreiben können). Darüber hinaus arbeite ich ebenfalls für das Aufforstungsprojekt „greenlimba“. Seinen Sitz hat das Projekt in Kamakwie, im Norden des Landes. Durch meinen Wohnsitz in der Hauptstadt kann ich dort Networking betreiben und Termine für die Organisation wahrnehmen. Immer wieder werde ich jedoch auch das Projekt vor Ort besuchen und Zeit in Kamakwie verbringen. Die lokale NGO (unter deutscher Führung) pflanzt im Karene Distrikt „einen neuen Regenwald“ und geht somit direkt gegen die voranschreitende Rodung in dem westafrikanischen Land und den Klimawandel weltweit vor. Diese Zeilen schreibend sitze ich auf derselben Terrasse, auf welcher ich bereits vor zwei Jahren saß - direkt gegenüber der Berufsschule, an der ich mein Pflichtpraktikum einst absolviert habe. Damals hieß es noch SEVOC (Sella Vocational Center) und heute SeTIK (Sella Technical Institute Kamakwie). Neben dem Namen hat sich noch so einiges mehr geändert: das Computer Department (in welchem ich damals als „Aushilfslehrer“ war) hat einen neuen Lehrer und ein neues Gebäude und die Schule ist seitens des Staates nun endgültig offiziell anerkannt, wodurch Abschlüsse an dieser zur Einschreibung an einem College qualifizieren. Wie eingangs angesprochen, bin ich so wirklich erst seit wenigen Tagen in Sierra Leone angekommen… Zum einen ist sicher der erste Besuch in Kamakwie sehr emotional aufgeladen, aber zum anderen präsentiert sich einem auch einfach eine komplett andere Seite des Landes. Freetown ist als Großstadt bereits sehr „westlich“ (ohne dies bewerten zu wollen) und somit waren die ersten Tage gar nicht so „anders“. Ob es das Wasser aus der Leitung oder die Pizza beim Italiener ist, in Freetown findet man alles. In Kamakwie angekommen, gibt es nun kein fließend Wasser mehr und die Anfahrt ist nur über „dirt roads“ möglich. Ich bin nichtsdestotrotz überaus gespannt auf die nächsten fünf Monate und werde Euch in diesem Blog erneut mitnehmen und meine Gedanken, Erfahrungen und Geschichten teilen.Kapitel Zwei
Nach meinem Praktikum im Februar letzten Jahres in Kamakwie, Sierra Leone geht es für mich erneut nach Afrika - dieses Mal in den Osten. Am 15.02. starte ich von Hamburg aus in Richtung Entebbe, Uganda. Bei dieser Reise mache ich mich auf eigene Faust auf den Weg in ein neues, mir ganz unbekanntes Land. Geplant sind bisher nur die ersten drei Nächte. Nach der Landung geht es in ein Zimmer in Entebbe und dann zwei Nächte nach Kampala, in die Hauptstadt. Gebucht habe ich beides ganz entspannt von meinem Handy aus auf Airbnb. Danach habe ich vorerst nur einen weiteren Kontakt: Das Waisenhaus @Rosehousefoundation empfängt mich und dort werde ich etwas bleiben. Die restlichen Wochen lasse ich spontan auf mich zukommen. Ausgestattet mit allem, was im afrikanischen Busch so nützlich sein könnte, erlebe ich nun ein weiteres Land und seine Menschen auf dem Kontinent, der mich vor etwa genau einem Jahr in seinen Bann gezogen hat. Auf ein spannendes zweites Kapitel!
P.S.: Um die Größe dieses Kontinents einmal in Relation zu setzten: Sierra Leone ist mit knapp 7000km weiter von Uganda entfernt, als es Deutschland mit circa 6000km ist.
No more war
An meinem letzten Abend in Kamakwie saß ich mit meinem Vater und Saidu Sessay, dem Schulleiter des SEVOCs, auf der Terrasse und wir sprachen über die vergangenen Wochen und wie es nun für mich weitergeht. Nach ein paar Star-Bier kam es dann doch auf – das Tabu-Thema.
Der Bürgerkrieg in Sierra Leone wird nur ungern angesprochen und von Seiten der Regierung schlecht aufgearbeitet. Die Menschen sprechen nicht gerne über ihre Erfahrungen, da dieser nicht weit in der Vergangenheit liegt und viele den Konflikt miterleben mussten. Sie haben Verwandte verlieren müssen, wurden selbst entführt und mussten Gliedmaßen verlieren. Wer mehr zu dem Thema erfahren möchte und wen insbesondere die Arbeit von INGOs im Zuge des Krieges in Sierra Leone interessiert, dem kann ich nur wärmstens das Buch „Die Mitleidsindustrie“ von Linda Polman empfehlen.
Dieser Artikel hat keinesfalls den Anspruch den gesamten Konflikt zusammenzufassen, sondern lediglich die Erlebnisse und Erzählungen von Herrn Sessay darzulegen.
Ein kurzer Einstieg in das Thema: Unter Siaka Stevens (1968-1985) und später dann Joseph Momoh (1985-1992), beide Prime Minister Sierra Leones, herrschte enorme Korruption im Lande, was das Ausbrechen des Bürgerkrieges 1991 überhaupt erst ermöglichte. Es formte sich die „Revolutionary United Front“ (kurz: RUF), welche sich mit der „National Patriotic Front of Libera“ (kurz: NPFL) zusammenschloss. Nach einem fehlgeschlagenen Anschlag auf Prime Minister Momoh, lag der Fokus der Rebellen auf den „Blood Diamonds“. Die gefunden Diamanten verkauften sie an den Präsidenten Liberias Charles G. Taylor oder tauschten sie gegen Waffen (WorldAtlas, o.J.).
Saidu Sessay beschrieb mir seine Erfahrungen so: Die Ursache sieht er bei einer korrupten und „schlechten“ Führung des Landes Seitens der Regierung. Die Angriffe starteten an der Grenze zu Liberia, später kam es auch zu 2 Angriffen in Kamakwie, also dem Norden Sierra Leones. Insbesondere rekrutierte RUF Kinder. So genannte „child soldiers“. Sie werden ihren Familien entrissen und gefangen gehalten. Die Eltern werden zum Suchen von Diamanten verdammt, verstümmelt oder getötet. Die Kinder verzweifeln nach monatelanger Gefangenschaft, sind frustriet und „would do whatever“.
Einen Eindruck über diese Geschehnisse liefert der Film „Blood Diamonds“, beim anschauen dieses Filmes auf dem Flug nach Lungi sprach mich mein Sitznachbar an und erzählte mir, dass es „genau so“ vor 25 Jahren war. Er selber konnte in die USA fliehen.
Die Rebellen nahmen insbesondere den Süden und Westen des Landes ein und plünderten dort alles. Auch die Stat Kamakwie wurde zweimal angegriffen. Bei diesen war besonders die zweite Attacke schwerwiegend. Hinterlaßen haben Sie eine ausgeraubte und zerstörte Stadt. „For example, the house next to yours was destroyed by them”, erzählt uns Saidu. Mein Vater und ich sehen erst uns, dann die Ruine neben unserem Haus an. Die Spuren des Bürgerkrieges sind bis heute sichtbar. Darüber geredet wird trotzdem - oder vielleicht genau deswegen - nicht.
Wenige Tage zuvor, auf dem Weg zurück von Makeni nach Kamakwie, stürzte mein Vater mit seinem Motorrad – zwei Männer stoppen auf ihrem Kraftrad und helfen ihm wieder auf. Saidu erzählt später, dass es untypisch in Sierra Leone ist und sie ihm wahrscheinlich nur geholfen haben, weil er Weiß ist. Denn eigentlich sind die Menschen bis heute misstrauisch bei liegengebliebenen Fahrzeugen. Ein „klassischer“ Trick der Rebellen. Unter dem Vorwand einer Panne haben sie sich in Dörfer geschlichen und haben dann das gewonnene Vertrauen ausgenutzt und ihr Unwesen getrieben. Eine weitere Art der Täuschung war das Ausgeben als Soldaten der sierra-leonischen Armee. Die Rebellen überwältigten die Soldaten, nahmen die Uniformen an sich und gaben sich als solche aus, so Sessay. Das Vertrauen in das Militär schwand weiter, als sich später dann sogar Teile der Armee unter dem Titel „Armed Forces Revolutionary Council“ (kurz: AFRC) den Rebellen anschlossen.
Saidu Sessay selbst richtete Checkpoints ein und leistete so Widerstand. Unbewaffnet. „What would happen, would happen“, sagte er mir.
Ende des Krieges: Erste Versuche auf eine Einung gab es 1999 zwischen Regierung und Rebellen, was jedoch nicht nachhaltig war. Auf Bemühungen der UN marschierten die Truppen des Vereinigten Königreiches mit Hilfe der guineischen Luftwaffe in Sierra Leone ein und erklärten den Bürgerkrieg am 18.01.02 für beendet (WorldAtlas, o.J.).
Saidu eröffnete das SEVOC bereits 1997, musste dies aber bis zum Ende des Krieges schließen. 2000 kam es zur Wiedereröffnung. Sein Fokus: Die jungen Menschen sollen durch Bildung selbständig sein und selbstständig denken. Der Unterricht startete in einer secondary school und die Lehrer unterrichteten ohne Bezahlung.
Ich habe das Land und die Leute als sehr friedlich und konfliktmeidend wahrgenommen und auch der Schulleiter weiß zu berichten: „People learned their lesson. No more war.“.
Durch die Rebellen zerstörte Haus in Kamakwie
Der Flug ist gebucht
Das letzte Mal habe ich diese Worte am 26.11.2021 geschrieben. Nach meiner Rückkehr stellte sich mir die Frage, was ich jetzt mit meinem Blog machen möchte. Bisher hatte ich nur über meinen Aufenthalt in Kamakwie, Sierra Leone geschrieben. Ich werde den Blog nun weiterführen und über alle anderen Reisen und Aufenthalte schreiben, die noch auf mich zukommen mögen.
Als nächstes steht Uganda für mich an. Gestern habe ich die Flüge gebucht. Am 29.07. geht es für mich los. Ich werde also auch meine nächsten Semesterferien in Afrika verbringen. Diesmal in Ostafrika und nicht im Westen des Kontinents.
In den nächsten Wochen werden noch Artikel über den Bürgerkrieg in Sierra Leone, Banana Islands und den Black Johnson Beach kommen. Dann werde ich euch mit auf die Vorbereitungen und die Reise nach Uganda nehmen.
Kulturschock
Nach meiner Zeit in Kamakwie habe ich mich auf den Weg zum Bureh Beach gemacht. Eigentlich hätte ich „Poda Poda“ fahren müssen. Dabei handelt es sich um einen Van, der überfüllt die umliegenden Städte anfährt. Am Abend vor meiner Abreise hat sich der Schulleiter Saidu Sesay auf den Weg zum Park (wir würden es ZOB nennen) gemacht und hat uns Plätze reserviert. „Uns“ sind Momme Weiher und ich. Er besuchte das SEVOC über die Partner-Organisation von Mahmoo „Taten statt Worte“ und begleitete mich nach Bureh und Freetown.
Genau genommen hat der Schulleiter aber drei Plätze reserviert. Um überhaupt etwas Platz zu haben, hätten wir dann für drei Personen bezahlt. Am nächsten Morgen kam und kam das „Poda Poda“ aber nicht und deswegen machte sich Mr. Sesay wieder auf den Weg zum Park. Dort traf er Barry. Dieser wollte nach Freetown und suchte noch Begleitung. Wenige Minuten später fuhr Barry in seinem weißen Geländewagen vor und lud meinen Rucksack ein. Mit Zwischenstopp in Makeni brachte er uns bis an den Ortseingang von Bureh. Für diese Strecke haben wir den ganzen Tag eingeplant. Zwei Fahrten mit „Poda Poda“ und dann mit dem Motorbike von Waterloo nach Bureh. In dem klimatisierten Honda waren wir in unter sechs Stunden am Ziel. Barry arbeitet mittlerweile in New York und besucht seine Familie jedes Jahr in Sierra Leone. Er dankte uns dafür, dass wir seine Heimat besuchen, und wollte für die gesamte Tour nichts. Zumindest sein Essen in Makeni durften wir ihm bezahlen.
Am Strand haben wir uns ein Apartment bei „Australeone“ gebucht. Ein echter Geheimtipp! Für umgerechnet knapp 35 Euro die Nacht bekommt man hier ein Doppelzimmer. Rustikal, aber sauber und nur 3 Meter zum Strand. Perfekt für alle Backpacker. Moses, der Manager, arbeitet mit Michael, dem Besitzer des Apartmets, zusammen. Michael kam vor 17 Jahren mit der UN nach Sierra Leone und hat beim Pinkeln den Strand entdeckt, sagt er. Mit seinem australischen Akzent erzählte er uns: „I stopped to piss and stumbled through the bushes. And there it was.“. Die Strände näher an Freetown waren ihm zu überlaufen mit den „nervigen Leuten“ von der UN. Neben dem obligatorischen Abendessen bekamen wir somit auch einiges erzählt und wurden herzlich aufgenommen.
Bureh liegt sehr im Süden der Halbinsel, auf der auch Freetown im Norden liegt. Nördlich von Bureh liegen die Strände John Obey, Black Johnson (zu diesem folgt ein eigener Blogartikel), York (hier wurden viele Sklaven festgehalten und zum Transport bereitgemacht), Tokeh, River No. 2 oder auch Lakka. Die ersten drei haben wir in Begleitung von Moses besuchen können.
Südlich von Bureh liegt nur noch Kent. Von hier nahmen wir uns am Montag ein Boot und setzten zu Banana Islands über (Mehr zu diesem Trip auch in einem nächsten Blogartikel).
Tagsüber konnte ich den fast menschenleeren Strand genießen, mich sonnen, etwas lesen oder mich beim Surfen austoben. Am Abend durfte ich die Mitarbeiter des „Australeones“ in den Club oder zu einer Beach Party begleiten.
Wenn man einige Schritte weg von dem Strand wagte, erwarte einen ein altbekanntes Bild. Armut. Die Fischer sind die Ärmsten im gesamten Land. Durch eine zwei Meter hohe Mauer wird der Schein des „schönen“ Strandes gesichert. Touristen waren fast alles Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von verschieden NGOs.
Am Dienstag ging es dann nach Freetown. Wir hatten ein Hotelzimmer in der „Jam Hotel Lodge“. Hier gab es plötzlich wieder alles. Fließend Wasser, den ganzen Tag Strom und Wlan. Nach vier Wochen habe ich die erste wirklich kühle Flasche Wasser trinken können. Wer in Freetown ankommt und den Rest des Landes nicht kennt, könnte auch denken, dass er irgendwo in Nordafrika ist. Laut, viele Menschen und noch mehr Menschen.
Am ersten Abend fuhren wir mit einem „Keke“, einem Dreirad, zur Basha Bakery. Diese war eine Empfehlung von Barry. Für die Fahrt sollten wir 35 000Le zahlen. Der erste Preis waren 50 000Le. Am Restaurant angekommen bestellte ich mir eine Pizza. Ich war endgültig wieder zurück bei westlichen Standards angekommen. Vor unserer Rückfahrt machten wir uns noch einmal schlau und fragten, was eine Fahrt mit dem „Keke“ zu unserem Hotel so kosten würde. 6 000Le pro Person war die Antwort des Kellners. Als wir ihm von unserem Preis erzählten, wurden wir nur ausgelacht. „Because you´re white.“ An der Straße stehend kam dann ein „Keke“ auf uns zu. Weis, wie das von unserem Hinweg. Mit einer Sierra Leone Flagge in der Frontscheibe, wie das von unserem Hinweg. Als wir den Fahrer sahen, dachten wir, dass wir spinnen würden. Es war unserer Fahrer der Hinfahrt. Wir konfrontierten ihn mit dem Preis und wir lachten zusammen. In Sierra Leone wird jeder Streit „weggelacht“. „Gratis“ fuhr er uns dann zurück.
Am nächsten Tag machten wir unsere PCR Tests, diesmal ohne Bestechungsgeld. Am Mittag ging es shoppen und wir kauften Stoffe und kleine Staturen aus Holz. Hier gab es aber noch viel mehr. Von Geweihen über Schmuck bis hin zu Kloschüsseln und Türen.
Am Donnerstag erkundeten wir das „National Museum“ und das „Railway Museum“. Beide waren recht klein, aber interessant. Bereits auf Banana Islands erzählte man uns, dass die Sierra Leonische Regierung nicht viel in den Erhalt seiner Geschichte investieren würde.
Ich habe nicht nur erfahren, dass es einst eine Eisenbahn in Sierra Leone gab, die 1975 auf Drängen der Weltbank geschlossen wurde (heute gibt es noch eine Strecke, die die Chinesen mit Güterzügen für den Abtransport von Ressourcen nutzen), sondern wurde auch in einen Geheimbund eingeladen. Bei einem Haik durch die Umgebung von Kamakwie habe ich Hölzer im Wald gefunden und auf diese habe ich unseren Guide angesprochen. Er war erst überrascht und wollte mir nichts darüber erzählen. Einer seiner Kollegen hat das Gespräch mitbekommen und mich nach meinen Kontaktdaten gefragt, damit er mich in einen dieser Bünde aufnehmen kann. Ich lehnte dankend ab. Ausklingen lassen haben wir den Abend dann bei einer weiteren Pizza.
Am Freitag ging es mit „Keke“, Sea Coach und Flugzeug dann erst nach Brüssel. Dort angekommen habe ich mich in einem McDonalds frisch gemacht und bin dann mit einem Thalys nach Köln, um schlussendlich mit dem ICE nach Münster zu fahren. Wieder angekommen in Europa hatte ich einen Kulturschock. Bei meiner Ankunft einige Wochen zuvor in Sierra Leone ging es mir nicht so. Natürlich war alles anders und überwältigend, aber einen Schock würde ich es nicht nennen. Als ich die Straße mit dem E-Scooter in Brüssel runtergefahren bin, dachte ich mir: wie kann das die gleiche Welt sein?
Neben der städtebaulichen Gestaltung ist mir der Unterschied in der Mentalität nach Minuten in Brüssel aufgefallen. Wir haben alles und noch viel mehr und sind trotzdem nicht zufrieden. Es muss immer noch mehr sein. Ein weiteres Paar Schuhe, noch ein Auto und noch mehr Geld auf dem Konto. Die Menschen in Kamakwie haben gerade so genug, dass sie den Tag überleben. Sie leben von der Hand in den Mund. Und genau diese Menschen tragen jeden Tag ein Lächeln im Gesicht. Sie sind dankbar für alles was sie haben, auch wenn es wenig ist. Wir Westeuropäer haben nie genug. Dankbarkeit tritt bei uns nur bedingt ein.
In Münster werde ich häufig gefragt, wie „meine Zeit in Afrika“ war. Lächelnd sage ich dann „sehr prägend“ oder „wie in einer anderen Welt“. Was es aber am besten beschreibt: ich möchte zurück. Ich muss zurück auf diesen Kontinenten, der so viel Potential hat, was es zu unterstützen gilt.
Hallelujah
Am Sonntag war ich in der Wesleyan Church von Kamakwie, auf deren Land auch das SEVOC steht. Durch meine Zeit bei den Pfadfindern habe ich bereits einige verschiedene Arten von Gottesdiensten erleben dürfen, aber keiner dieser ist vergleichbar mit dem von Pastor Amen Turay. Viel lebendiger, lebensnaher, bunter und - lauter (die Lautstärke ist aber nichts untypisches für Sierra Leone, hier ist alles laut).
Der gesamte Gottesdienst war viel aktiver. Es wurde sehr viel gesunden und ständig zum aufstehen gebeten. Häufig wusste ich auch gar nicht, was gerade passiert. Zwischenzeitlich wurden Stoffe präsentiert und versteigert. Im nächsten Augenblick sind alle durch die Kirche gelaufen und haben am Altar gespendet. Dann wurde wieder gemeinsam gesunden.
In seiner Predigt spricht Amen Turay über drei Grundsätze im Leben: courage, courtesy, conscience. Dann zeigt er seiner Gemeinde eine Karte. Auf der einen Seite orange, auf der anderen schwarz. Der Pastor steht in der Mitte der Kirche und fragt die eine Seite, welche Farbe sie sehen würde. „Orange“ die klare Antwort. Die andere Seite antwortet „Schwarz“. Beide haben Recht. Turay zeigt seiner Gemeinde an diesem simplen Beispiel, dass es wichtig ist, sich beide Seiten anzugucken bzw. anzuhören. Nach jeder seiner Predigten ruft er dann „someone say halleluja“ und die gesamte Gemeinde ruft zusammen. Der Gottesdienst ist hier viel lebensnaher und vermittelt wichtige Werte und Grundsätze im Umgang miteinander.
Die Wesleyan Church ist eine protestantische Kirche. Der Großteil der Einwohner Sierra Leones ist aber muslimisch. Circa 60% der Bevölkerung sind muslimischen und etwa 30% christlichen Glaubens. Rund 10% gehören dem Animismus an (IRC Report, 2018). Aber egal an was geglaubt wird, es wird von jedem akzeptiert.
Was auf den ersten Blick für Konfliktpotenzial sorgen könnte, funktioniert hier wunderbar. Auch an dem christlichen SEVOC können sich muslimische Lehrer*innen und Schüler*innen Zeit für ihre Gebete nehmen. Am Morgen wird zusammen gebetet, jedoch jeder leise für sich selbst. Ganz egal an welchen Gott sich die einzelne Person wendet. Denn eines vereint hier alle: Sie glauben alle an eine höhere Macht. Der Glaube schenkt Hoffnung und hilft, mit dem nicht einfachen Alltag im siebentärmsten Land der Welt (Weltbank, 2020) umzugehen.
Groundnut Butter
Für meine vier Wochen in Kamakwie wohne ich in einem bereits für die nächsten drei Jahre angemieteten Haus gegenüber vom SEVOC. Das Haus läuft über den LBMD-Verlag, den Verlag meines Vaters, da sich neben den Wohn- und Arbeitsräumen auch die Lionbag-Werkstatt mit im Haus befindet.
Da wir nicht in einem Guesthouse, sondern in einem eigenen Haus wohnen, versorgen wir uns selbst. Möbel organisieren, für Benzin und Essen sorgen. Für einige Aufgaben greift uns James unter die Arme und kann sich so zwischen seinem Bachelor und Master noch Geld dazuverdienen. Im Haushalt ist er für das Putzen, Wasser holen (was absolut nicht zu unterschätzen ist, da dieses aus 15 Metern Tiefe gepumpt werden muss - ich spreche aus Erfahrung) und Waschen zuständig.
Für die Besorgung des Essens bin ich hauptsächlich (mit-) verantwortlich. Jeden Morgen laufe ich die Makeni Road herunter und biege am Kreisel rechts ab, in die Haupt-„Einkaufsstraße“. Dort gibt es einige Händler, die Brot verkaufen. Pünktlich gegen 7:30 Uhr bin ich zurück, sodass ich den Schulstart um 8:00 nicht verpasse.
Am Nachmittag gehe ich dann regelmäßig alleine oder in Begleitung von meinem Vater oder Marion, seiner Frau, auf den Markt. Hier gibt es so einiges. Von Klamotten, über Solar-Taschenlampen bis Fisch wird alles angeboten. Neben den Klassikern wie Gurken, Tomaten oder Zucker steht auch besonders Erdnussbutter (hier: Groundnut Butter) häufig auf dem Einkaufszettel. Diese esse ich jeden Morgen und (fast) jeden Abend auf meinem Brot. Die Groundnut Butter wird durch eine Art von Fleischwolf gejagt. Pro Portion Erdnüsse bezahle ich hier 25 000 Leone (Le) (1,86 Euro) und für das Zerquetschen der Nüsse weitere 5 000 Le (39 Cent). Mit noch warmer Groundnut Butter laufe ich dann die Makeni Road zurück.
Ab und zu kocht auch die Frau eines Freundes für uns, sodass ich auch traditionelle Gerichte, wie die Cassava Leaves, probieren kann. Für nächste Woche steht hier auch die - wer hätte es erahnen können - Groundnut Soup auf dem Plan.
Kuscheln mit Gorilla
Ich war von Montag auf Dienstag im Outamba-Nationalpark. Mag sich nach „nur“ einer Nacht anhören, war aber überaus intensiv und eine wahre Abenteuerreise.
Im Zuge der Vorbereitung habe ich mir einen Bohrstock und Holzhammer in Kamakwie anfertigen lassen. Sodass ich mich als Geographie-Student für „greenlimba“ (online unter: https://greenlimba.com) so richtig austoben durfte.
Auf den Weg in den Regenwald (wobei der Outamba-Nationalpark genau genommen ein Savannenwald ist) habe ich mich in tauglicher Tropen-Kleidung, meiner angefertigten Ausrüstung und erneut in einer Ambulance gemacht. Für den Weg brauchten wir ein geeignetes Auto und für den richtigen Preis vermietet das Krankenhaus eines ihrer Autos. Die „Krankenwagen“ sind aber keinesfalls mit unseren aus Europa zu vergleichen, es handelt sich hier um einen (nach acht Jahren vollkommen rotten) Geländewagen.
Nach einigen Kilometern Dirt Road erreichten wir die Fähre am Fluss „Little Scarcies“. Diese wird durch sechs Männer angetrieben. Neben unserem Auto passten noch ein Motorrad und circa sechs weitere Personen mit auf die Fähre. Die Männer zogen dann an einem Stahlseil und beförderten so alles auf die andere Flussseite.
Nach weiteren 60 abenteuerlichen Minuten und der Sichtung einer Schlange, erreichten wir schließlich den Nationalpark. Angekommen wurden wir direkt von dem ersten Affen begrüßt. Wir legten die erste Pause ein und griffen zu unserer Verpflegung (dabei waren Eier, Brot, Gurken, Bananen, Kekse und genug Wasser). Hier begegnete ich „Gorilla“ das erste Mal. Der kleine Affe suchte nach Essen und fand dabei uns. Das eine oder andere Stück Brot mag uns herunterfallen sein und so traute er sich an uns heran. Wenig später saß er auf meinem Arm. Nach dieser erfreulichen Begegnung und der ersten Stärkung ging es los.
In Kanus überquerten wir eine andere Stelle des Flusses und es ging auf die Suche nach einer passenden Fläche für eine Vegetationsaufnahme. Diese haben wir recht schnell gefunden und die beiden Ranger standen mir mit ihrem Wissen über die Bäume tatkräftig zur Seite. Jetzt kam auch der Rest meiner Ausrüstung zum Einsatz. Im letzen Semester habe ich meine erste und bis zu dem Zeitpunkt einzige Vegetationsaufnahme und Bohrstock-Probe gemacht.
Zuerst lief alles überraschend gut, dann machte der Bohrstock mir jedoch einen Strich durch die Rechnung. Das umgebaute Rohr hielt nicht stand und ließ sich nur unter großer Krafteinwirkung aus dem Boden befördern. Das Stück Metall war nun leider verbogen und es ließ sich so auch lediglich der oberste Bodenhorizont bestimmen, Spaß gemacht hat es trotzdem!
An einem zweiten Standort habe ich dann noch eine zweite Vegetationsaufnahme vorgenommen. Nach dieser ging es erstmal zurück zum Camp. Am Flussufer, weit genug von allem brennbaren entfernt, und nach Erlaubnis, konnte ich dann nochmal meine Pfadfinder-Fähigkeiten unter Beweis stellen und habe ein Pyramidenfeuer (übergehend in ein Gitterfeuer) aufgebaut.
Dann ging es ins Bett. In einer Unterkunft, die uns die Ranger zur Verfügung gestellt haben. Ohne zu übertreiben: Das war die schlimmste Nacht meines Lebens. In einem Zimmer, geschmückt von Nestern an der Wand und bewohnt von Ratten, habe ich mich dann in voller Montur ins Bett gelegt. Wer mich kennt, weiß, dass ich viel Wert auf Sauberkeit lege und das Gegenteil war hier der Fall. Das Zimmer glich einer Szene aus einem schlechten Horrorfilm - und wer mich kennt, weiß ebenfalls, dass ich Horrorfilme hasse. Ich habe mir das Zimmer dazu mit einem älteren einheimischen Begleiter geteilt und dieser hat so laut geschnarcht, dass man es selbst im Nebenzimmer gehört hat.
Nach wenig Schlaf starteten wir am nächsten Morgen mit einer Wanderung durch den Wald. Bei dieser konnte ich Warzenschweine, Wasserbüffel, eine Reihe an exotischen Vogelarten und einen Fußabdruck von einem Elefanten sehen (Waldelefanten sind sehr gut im verstecken, deswegen nur der Abdruck). Im Anschluss folgte das Frühstück und danach die Kanu-Tour über den „Little Scarcies“. Hier konnte ich das erste Mal Mini-Hippos, viele weitere Affen und mehrere Adler sehen.
Nach nun knapp 26 Stunden, von denen wenige Schlaf waren, wollten wir einfach zurück. Die beiden Tagen waren eine wahre Abenteuerreise. Unser Fahrer hatte den Jeep am Vortag auf einem Hügel abgestellt, da das Auto von alleine nicht mehr ansprang, und diesen rauschte er dann selbigen herunter. Ich verabschiedete mich nach einer weiteren Kuscheleinheit von „Gorilla“ und wir machten uns mit vielen neuen Daten, Fotos und Eindrücken auf den Heimweg nach Kamakwie und ich nahm auf der Rückbank der Ambulance Platz.
P.S.: Mehr Bilder übrigens auf Instagram @lucbessel ;)
Das erste Mal
Nach anfänglichen Excel-Schulungen haben wir den Plan für den Einsatz von mir am SEVOC umgestellt. Von den beiden Lehrern steht einer kurz vor der Rente und der andere zeigt keine Motivation*, weshalb ich meine Energie komplett in die Arbeit mit den Schülern und Schülerinnen stecken möchte. Damit habe ich heute gestartet! (* Ab Herbst kommt ein neuer Lehrer an die Schule, für den ich jetzt schon den Übergang gestalte)
Die verbleibenden 1 1/2 Wochen hier in Kamakwie werde ich sie an den Umgang mit dem Internet heranführen. Das mag im ersten Moment banal und einfach klingen, ist es aber nicht. Drei der Schüler*innen waren heute zum ersten Mal im Internet! Und das mit über 20 Jahren. Unvorstellbar für uns. Ich selber habe mein erstes Smartphone mit 12 Jahren bekommen. Da hatte ich aber noch Angst, wenn ich versehentlich auf den Button fürs Internet gedrückt habe. Regelmäßig browse ich jetzt täglich. Sei es Social Media, etwas für die Uni oder ab und zu auch mal Onlineshopping.
Nachdem dann der Browser heute auf dem Laptop installiert war, funktionierte doch tatsächlich „dieses“ Internet. Ich habe die Schüler und Schülerinnen zuerst ihre Heimatstadt googeln lassen. Allein das war für die meisten schon ein Abenteuer. Und dann sahen sie Bilder von ihrer (!) Schule. Bilder von Straßen, die sie eigens schon längs gelaufen sind.
In den nächsten Tagen möchte ich ihnen mit auf den Weg geben, dass sie alles Wissen dieser Welt zur Verfügung haben und diese enorme Chance für sich nutzen können.
Ich habe die Jugendlichen heute in Kleingruppen aufgeteilt und im letzen Durchgang saß ich mit Ramatu allein im Raum. Auch sie war das erste Mal im Internet. Gehört von Wikipedia hatte sie zuvor noch nie. Nach einigen Minuten bat sie mich dann, ihr Freund zu sein. Da sagte ich selbstverständlich sofort zu, ohne weiter drüber nachzudenken, da ich das jeden Tag mehrmals gefragt werde.
Sie kam aber darauf zurück und machte deutlich, dass sie es wirklich ernst meint. Sie hätte sonst niemanden. Nach etwas Stille fügte sie hinzu, dass sie ihre beiden Eltern an Ebola verloren hat. Auf meine Nachfrage, wo sie jetzt wohnt, entgegnete sie „with my uncle, 7 miles from here“. Diese sieben Meilen läuft sie morgens hin und nachmittags zurück (in Kilometern sind das etwa 22,5 km insgesamt, ein Halbmarathon). Jeden Tag. Sie sagte mir auch, dass sie viel von mir lernen möchte. Bildung wäre ihr Ausweg „von hier“.
Ich war zuerst völlig überfordert und wusste gar nicht, was ich sagen sollte. In Momenten wie diesen machen mir Einzelschicksale wie ihres deutlich, wie gut es mir, wie gut es uns geht. Der Zugang zu Bildung ist Ramatus höchstes Gut - und wir beschweren uns häufig über die doch so nervige Schule oder die Arbeit für die Uni.
Mit Ramatu werde ich mich morgen wieder zusammensetzen und hoffe, ihr auf ihrem Weg weiterhelfen zu können. Ich kann sicher nicht jedes Leben verändern, aber wäre nicht bereits eines ein guter Start?
Mr. Ben
Nach den ersten zwei Wochen in Kamakwie und an der Berufsschule möchte ich ein Zwischenfazit ziehen. Morgen steht die Fahrt in den Outamba-Kilimi Nationalpark an. Das erste Mal Regenwald für mich. Dann noch weitere zwei Wochen am „SEVOC“ und ein paar Tage Tokeh oder Bureh Beach und Freetown.
In der kurzen Zeit in Sierra Leone habe ich immer wieder einen „Weltschmerz“ verspürt. Ich empfand teilweise alles als „unfair“. Noch nie habe ich so große Armut gesehen. Gleichzeitig habe ich auch noch nie so glückliche Menschen gesehen und das lässt einen an unserer Lebensweise im so reichen Europa zweifeln.
Ich habe gleichzeitig das Gefühl, etwas sinnvolles mit meiner Arbeit an der Berufsschule zu bewirken. Sicher scheitern viele Ideen schon an Kleinigkeiten und alles läuft anders, als ich es plane, aber bereits Kleinigkeiten sorgen bei mir und den Schüler*innen und Lehrer*innen für Freude. Und das Feedback motiviert mich. Der Lehrer für Sanitäranlagen kam nach ein paar Tagen auf mich zu und sagte: „Thank you for being here, you help us grow“.
Für die Schüler*innen und Lehrer*innen bin ich hier, wie für alle anderen auch, übrigens einfach „Ben“ (manchmal auch „Mr. Ben“, „Brother Ben“ oder „Big Ben“). „Luc“ bereitet teilweise Schwierigkeiten und deswegen hat sich mein zweiter Vorname schnell durchgesetzt. Mit den drei IT-Lehrern habe ich einen Excel-Kurs gestartet und für die Schule eine Übergangslösung für die Internetverbindung gefunden.
Unter einem anderen Namen tauche ich hier also in eine ganz andere, eine sehr interessante und schöne Welt ein. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und guter Dinge, dass die nächsten Wochen gleich viel Neues bringen und wahrscheinlich noch schneller vorbeigehen werden.
Cassava Leaves
Das eine oder andere Mal hat mich bereits die Frage erreicht, wie denn die Küche Sierra Leones ist. Die kurze Antwort: scharf. Bei meiner Ankunft in der „Airport Lodge“ am ersten Tag, gab es noch eine Portion „Fried Rice“ zu essen. Reis mit etwas Gemüse, angebraten. Hier war der Schärfe-Grad noch gut auszuhalten.
Am nächsten Tag gab es Shawarma mit Huhn und - scharfer Paste. Wie vielleicht die eine oder andere Person weiß, lebe ich eigentlich vegetarisch, was sich hier jedoch sehr schwierig gestaltet. Huhn und Fisch gibt es zu fast jeder warmen Mahlzeit. Und auch die Ziegen laufen nicht ohne Grund überall herum (damit habe ich aber bisher nichts zu tun).
Typisch für Sierra Leone sind ebenfalls die vielen Straßenhändlerinnen mit ihrem kleinen Stand am Straßenrand oder einer Schüssel auf dem Kopf. Sehr zu empfehlen sind das Bananenbrot oder die Sesam-Ecken. Für eine kleine Erfrischung zwischendurch werden hier in der Trockenzeit auch geschälte grüne Orangen angeboten, die sich wie ein Ledersack auspressen lassen.
Das Erlebnis der besonderen Art hatte ich heute, als die Frau des Schulleiters vom SEVOC eine Portion Cassava Leaves mit Reis gekocht hat. Die Blätter der Pflanze werden zerstampft und mit (allen) Teilen von Huhn und Fisch gekocht. An diesen Teilen habe ich mich vorbei manövriert und mir eine Portion aufgefüllt. Ohne zu übertreiben: Ich habe noch nie eine so scharfe Mahlzeit gegessen.
Nach einer kurzen Pause, in der ich nur schwer Luft bekam, konnte ich dann auch das „National-Gericht“ Sierra Leones von meiner Liste streichen. (Die Blätter sollen wohl wie muffiger Spinat schmecken, ich habe aber außer der Schärfe nichts geschmeckt.)
Träume
Ich habe Alpha auf dem Markt kennengelernt, als dieser mir bei einem Geschenk für meinen Vater half. Am Tag darauf hat er mich auf seinem Motorrad mitgenommen und mir sein „Kamakwie Town“ gezeigt. Ich habe durch den Fahrtwind und eine gewissen Sprachbarriere nicht alles verstanden, aber er ist stolz. Stolz auf ganz vieles. Seine Stadt, seine Familie (die er mir auf unserer Fahrt nach und nach vorgestellt hat) und auch das Krankenhaus.
Im Krankenhaus zeigte er mit alles und ich meine wirklich alles. Den Container für die Scans, das Labor und auch die verschiedenen Stationen. „Nice, isn’t it?“ fragte er mich, als er mir die überfüllte Kinderstation zeigte. Die Frage war aber keinesfalls ironisch, denn Kamakwie hat als eine der wenigen Städte des Nordens ein Krankenhaus und das macht ihn stolz. Und genau deswegen zeigte er mir alles, um seinem neuen Freund seine schöne Heimat zu zeigen. Für meine westlichen Standards war das Krankenhaus grausam. Die Kinderstation war überfüllt. 40 Betten in einem Raum, in dem in Deutschland vielleicht 15 Betten stehen würden. Die Wege, welche die Stationen verbinden, waren überfüllt mit weiteren Eltern und Kindern. Die Wege waren alle versandet und dreckig durch die derzeitige Trockenzeit. Und auf diesen Menschen überall.
Als wir auf dem Rückweg waren, fragte er mich dann, ob ich ihm in Deutschland dann auch verschiedene Orte zeigen würde. „Klar“ antwortete ich. Auf unserer Fahrt hat Alpha mir erzählt, dass er nach seiner Ausbildung gerne nach Deutschland möchte und dort arbeiten will. In seinem Land gebe es keine Jobs und alle seien arm. Außerdem ist er bei jeder WM für Deutschland.
Und dann, als er es auf den letzten Metern unserer Tour nochmal ansprach, realisierte ich, dass ich Alpha nie in Deutschland sehen werden.
Wenn ich einen halbwegs realistischen Traum träume, dann kann ich davon ausgehen, dass dieser in Erfüllung geht. Ich möchte ein Erasmus in Birmingham? Kein Problem. Nach Sierra Leone fliegen? Kein Problem. Wenn aber Alpha nur auf eine Chance hofft, dann wird ihm die wahrscheinlich verwehrt bleiben.
Lebenslauf aus dem Drucker
Ich begann meinen ersten „richtigen“ Tag in Kamakwie mit der Suche nach Brot. Also lief ich die Makeni Road (weil die Straße nach Makeni führt) herunter und wurde schnell fündig. Eine Straßenhändlerin verkaufte mir 6 Brotstangen für 12.000 Leone, also 1,20€. Bisher habe ich zwei verschiedene Sorten Brot entdecken können, zum einen eher weiches, an Milchbrötchen erinnerndes und zum anderen ein „klassisches“ hartes Baguette. Nach dem erfolgreichen Frühstück habe ich mich auf dem Weg zum SEVOC gemacht. Wobei dieser Weg nicht lang ist, da ich im Haus gegenüber von der Berufsschule wohne.
Die ersten Tage ist meine einzige Aufgabe, dabei zu sein und mir ein Überblick über die Lage zu verschaffen. 6 Schüler und Schülerinnen sind anwesend und werden von 2 Lehrern betreut. Auch die Corona Pandemie hat in Kamakwie ihre Spuren hinterlassen. Es gehen deutlich weniger junge Menschen zur Schule. Am heutigen Tage sollen die Schüler*innen eine Tabelle mit Libre Office erstellen. Es scheitert bei dieser Aufgabe an den kleinsten Kleinigkeiten. Wieso nutzen sie nicht Exel? Und warum verlässt der Lehrer ständig den Unterricht? Diese und noch viele weitere Fragen habe ich mir an meinem ersten Tag gestellt und notiert. In den nächsten Tagen werde ich mich mit Lars und Marion von „Mahmoo“ über meine Beobachtungen austauschen.
Am Ende habe ich Theresa dann noch einen Lebenslauf erstellt, auf den sie sehr stolz war. Das war sicher keine große Kunst, aber der Lehrer war mit dieser Aufgabe überfordert und rief eben mich dazu. Am Freitag fand keine Schule stand. Warum? Weil am Samstag die Graduation war. Für einige endete ihre Zeit am SEVOC und Theresa war eine von ihnen.
In der Exhibition präsentieren alle Departements eines ihrer Werke. So wurde ein Kuchen versteigert oder ein gewebter Stoff. Das Computer Department (CP) zeigte, wie Theresa einen Lebenslauf ausdruckte. Den Lebenslauf, welchen ich mit ihr zwei Tage zuvor erstellt habe. Alle in der town hall klatschen.
Wir haben im CP also noch einen langen Weg vor uns.
Dirt Road
In Sierra Leone gibt es zwei Arten von Straßen: Asphaltierte und „Dirt Roads“. Nach der ersten Nacht in Lungi in der „Airport Lodge“ fuhr ich mit einem echten Krankenwagen nach Kamakwie, mit einem Zwischenstopp in Makeni. Bis Makeni waren die Straßen asphaltiert und noch gut zu befahren.
Angekommen in Makeni hab ich das Marktreiben erleben dürfen. Ich war maßlos überfordert. Alle, die etwas verkaufen möchten, schreien dies oder haben es im Vorhinein eingesprochen und spielen es auf Lautsprechern oder Megaphonen immer und immer wieder ab. Und es gibt dort alles. Stoffe, Gewürze, Gasflaschen oder auch einfach einen Besen. Nach dieser ersten sehr prägenden Erfahrung ging es nach Kamakwie. Der Stadt im Norden des Landes, wo ich am Sella Vocational Centre (SEVOC) mein Praktikum absolviere.
Ab dem Start von Makeni aus wurden die Lücken der Strecke, die nicht mehr asphaltiert waren, immer größer, bis es komplett in eine „Dirt Road“ überging. Durch die Beschriftung unseres Wagens, wurden wir durch jede Polizeikontrolle auf unserem Weg durch gewunken. Ich saß neben dem Schulleiter des SEVOC und dem Fahrer auf der Vorderbank und habe noch nie eine so unangenehme, aber gleichzeitig so aufregende Autofahrt erlebt. Nach kleinen Brücken, engen Straßen und kleinen, sowie auch großen Schlaglöchern und mit roten (durch den aufgetrieben Staub der Straße) und durchgeschwitzten Klamotten kamen wir am späten Nachmittag in Kamakwie an.
Zwanzig Euro
Nach monatelanger Vorbereitung bin ich angekommen. Angekommen in Sierra Leone. Am 22.02.22 bin ich gegen 18 Uhr Ortszeit gelandet. Bereits am Flughafen gab es die erste Überraschung. Ich habe gezwungenermaßen das Personal bei den COVID-Tests bestochen.
Als ich mich nach den ganzen Check-In Stationen zu meinem PCR-Test und Schnelltest setzte, drängten mich die beiden Mitarbeiter dazu, doch etwas Trinkgeld zu geben. „I’ll be gentle, if you’ll be gentle to us“ bekam ich zu hören und lachte zuerst. Naiv wusste ich gar nicht, auf was dieser Kommentar abgezielt war. Ich sagte überfordert, dass ich jetzt kein Geld hätte.
Dann bekam ich zu verstehen, dass das Trinkgeld keine Option, sondern eine Pflicht war. Ich sah den 20$ Schein in der Schublade und sagte, dass ich nur Euro hätte, was aus Überforderung selbstverständlich gelogen war. „That’s okay too“ entgegnete einer der beiden. Die ersten 10€ waren ihnen nicht genug und am Ende waren sie nach 20€ zufrieden und steckten zur Schau beide Stäbchen ganz fix in meine Nase. Ich musste mich nicht einmal hinsetzten und bekam unmittelbar mein negatives Testergebnis. Daraufhin machte ich mich, immer noch überfordert, auf zu der „Airport Lodge“. Dort bezog ich nach einem kühlen „Star“-Bier und einem auf die Schnelle gezauberten Essen mein Zimmer für die erste
Ein Monat noch...
Ich habe vor ein paar Tagen die Packliste für meinen Aufenthalt in Kamakwie bekommen. Neben den „klassischen Dingen“ wie einer Kopfbedeckung, Sonnenbrille und der sommerlichen Bekleidung (hört sich fast nach einem Sommerurlaub an), steht da noch einiges mehr drauf. Taschenlampe, Moskitonetz und ein Erste-Hilfe-Kit. Auch die Kulturtasche muss etwas aufgestückt werden. Neben Zahnbürste und -pasta müssen auch noch die Malariaprophylaxe und ein Breitbandantibiotikum Platz finden. Auch ein paar Impfungen warten in den nächsten Wochen noch auf mich. Damit die Krankenkasse möglichst viel übernimmt, sind die Impfungen und Impfkosten auf das Jahr 2021 und 2022 aufgeteilt worden. Dass ich die Möglichkeit habe, mich impfen zu lassen und zu schützen, ist ein Privileg. Und dass Teile der Kosten übernommen werden, ein noch größeres.
Als mich heute Morgen (ironischerweise natürlich von einem globalen Versandhandel) weitere Päckchen erreichten, traf es mich: heute ist der 21.01. Am 21.02 werde ich in Brüssel sitzen und drauf warten, am nächsten Tag nach Freetown zufliegen. Das wirkte immer noch „ganz weit weg“. Nicht nur geographisch, auch zeitlich dachte ich immer noch, dass „das ja noch ganz lange hin ist“. Aber als ich dann mein Erste-Hilfe-Kit und meine „Busch-taugliche-Uhr“ ausgepackt habe, fiel mir auf: ein Monat noch…
Der Flug ist gebucht
Am 22.2.22 geht es endlich los! Ich habe gerade meinen Flug nach Lungi, Sierra Leone / Westafrika gebucht! Mein Rückflug wird dann am 25.3 sein. Ich muss zugeben, dass ich, trotz der nun monatelangen und noch weiter andauernden Vorbereitungen und dem ständigen Austausch mit dem Verein, doch ziemlich aufgeregt bin. Was gleichzeitig natürlich nicht bedeutet, dass ich mich nicht enorm freue.
Was mich genau vor Ort erwartet, weiß ich noch nicht. Was ich weiß: Ich werde in den knapp fünf Wochen viele neue Menschen kennenlernen dürfen und Erfahrungen sammeln, die mich auch nach der Zeit in Sierra Leone begleiten werden.
Mir ist es an dieser Stelle ganz wichtig, zu betonen, in was für einer privilegierten Lage ich bin. Zum einen können sich viele Menschen in meinem Alter in Deutschland einen derartigen Aufenthalt nicht leisten, und zum anderen könnte sich niemand in meinem Alter in Sierra Leone einen vergleichbaren Austausch in Deutschland leisten. Dafür bin ich dankbar.
Für jede*n, der sich so einen Flug, so einen Aufenthalt nicht leisten kann oder möchte, gleichzeitig aber interessiert ist, schreibe ich in den nächsten Wochen und Monaten weiter fleißig in diesem Blog. Ganz besonders spannend wird es dann ab dem 22.2.22 ;)
Um welche Schule geht es?
Bei einem Videoanruf mit dem Vorstand von Mahmoo bin ich heute auf den neusten Stand gebracht worden: Kamakwie ist Distrikthauptstadt des Karene Distrikts im Nordwesten Sierra Leones. Ausgebildet werden am der örtlichen Berufsschule knapp 200 Schüler*innen in unterschiedlichen Handwerksberufen aus. Offiziell trägt die Einrichtung den Namen "Sella Vocational Centre" (SEVOC). Sie ist keine „Erfindung“ Vereins, sondern eine staatliche Schule. Die Regierung bezahlt allerdings nur die Lehrergehälter - für Miete, Strom, Lehrmaterial usw. müssen die Jugendlichen Schulgebühren zahlen. Auf unterschiedliche Art und Weise und mit viel Kreativität wird die Schule durch den Verein unterstützt - zum Beispiel durch den temporären "Verkauf" der Namensrechte: Das SEVOC heißt "Hennecke School". Das in meiner Heimatstadt Itzehoe ansässige Unternehmen hat sich die Rechte gesichert.
Die örtliche Schulgebühr pro Berufsschüler*in beträgt für die 3-jährige Ausbildung 60 Euro - für viele Familien ist das nicht bezahlbar. Durch die Berufsschule kann den jungen Frauen und Männern der entscheidende Schritt ins 21. Jahrhundert ermöglicht werden: Im Frühjahr 2021 sind die beiden ersten nagelneuen Laptops an der Schule angekommen, inklusive eines WiFi-Routers. Weitere Computer sollen folgen. Strom gibt es durch die nun reparierte Solaranlage, finanziert durch den Lions Club Itzehoe. Diese Ausstattung ermöglicht den Kontakt zum "Rest der Welt" und eröffnet so bis dato ungeahnte Möglichkeiten. Gerade für eine Kleinstadt wie Kamakwie mitten im Busch ist diese Zukunftstechnologie eine einzigartige Chance. Und wie bereits erwähnt, wird auch mein Aufgabenbereich im nächsten März im Computer Department liegen.
Politische Lage in Sierra Leone
Wie ist die politische Lage in Sierra Leone? Der Präsident des Landes ist Julius Madaa Bio (General a.D.), er gewann 2018 als Oppositionkandidat die Wahl zum Präsidenten und es kam zu einer friedlichen Machtübergabe (WZ). Seine Politik gilt weithin als korrupt. Nach dem CPI (Korruptionswahrnehmungsindex) liegt Sierra Leone auf Platz 117 (Stand 2020, TI). Die Pressefreiheit gilt hingegen als relativ gesichert. Es gibt eine Menge Zeitungen und Radiostationen. Das Radio ist die Informationsquelle Nr.1, eingeschränkt wird diese lediglich durch die mangelnde Stromversorgung im Inland (BBC).
Die erste große mediale Aufmerksamkeit erlangte Sierra Leone durch den Bürgerkrieg zwischen 1991 und 2002 und die sogenannten „Blutdiamanten“ (bpb). Abgebaut wurden viele Edelsteine in der Stadt Kono und dienten anfangs der Finanzierung des im Nachbarstaates Liberia anherrschenden Bürgerkrieges. Später führten dann auch Korruption und eine steigende Unzufriedenheit der jungen Bevölkerung Sierra Leones zu dem Ausbruch eines Bürgerkrieges im eigenen Land (LBMD-Verlag). Dieser Krieg war „einer der gewalttätigsten postkolonialen Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent“ (bpb).
Nun ließe sich mutmaßen, dass ein Land, welches bis vor 19 Jahren noch im Bürgerkrieg versank, nicht wirklich sicher sei. Das Gegenteil ist aber der Fall. Ban Ki-moon, ehemaliger Generalsekretär der UN, hat das Land bei einem Besuch 2010 für seinen Wiederaufbau und die rasche Erholung nach dem Bürgerkrieg gelobt. „What I have seen during my visit gives me hope and vibrancy for the African continent“, so Ban Ki-moon (rfi). Auch das Auswärtige Amt stuft das Land als sicher ein (AA).
Ein weiteres Mal berichtete die Welt über Sierra Leone im Zuge von Ebola. Der Ausgangspunkt der Krankheit war ein Dorf in Guinea und wurde dann durch ein Handelszentrum in Kono, Sierra Leone, weiter verbreitet. Von dort aus gelangte die Krankheit dann über den Grenzverkehr nach Liberia (bpb). Die genannten drei Staaten waren hauptsächlich betroffenen und hier erkrankten mehr als 28.000 Menschen, mehr als 11.000 starben (rki). Die Ebola-Epidemie wurde im Januar 2016 in Westafrika für überwunden erklärt (Weltspiegel).
Wo liegt Sierra Leone?
Dass es für mich nach Sierra Leone geht, ist keine Neuigkeit mehr. Aber wo liegt Sierra Leone? Und was sollte man über dieses Land wissen?
Das Land liegt in Westafrika mit Zugang zum Atlantik. Seine Nachbarländer sind Guinea und Liberia. Sierra Leone ist 71.740 km ² groß und hat circa 7,1 Millionen Einwohner*innen (Stand 2015, State House).
Die Hauptstadt des westafrikanischen Landes ist Freetown und hat eine Einwohnerzahl von etwas über einer Million (BBC). Vergleichbar ist diese Fläche mit der des Bundeslandes Bayern, hier sind es 70.541 km ². Die Zahl der Einwohner*innen beträgt hier 13,1 Millionen (LfStat). Die Bevölkerungsdichte ist in Bayern somit deutlich höher und liegt bei 186 Einwohner*innen pro km ², in Sierra Leone liegt diese bei 99 Einwohner*innen pro km ².
Amtssprache ist Englisch, am verbreitetsten ist jedoch die Sprache Krio (BBC). Sie setzt sich aus großen Teilen englisch und einem Einschlag portugiesisch zusammen. Ein kleines Beispiel: Wenn man jemanden nach seinem Befinden fragen möchte, sagt man: „How di body?“, also so viel wie „How are you?“.
Darüber hinaus gibt es noch mindestens drei weitere lokal verbreitete Sprachen (LBMD-Verlag). Wer in Sierra Leone bezahlen möchte, tut dies mit Leonen. Zum Vergleich: der Wechselkurs mit dem Euro beträgt 0,000081. Das BIP pro Kopf im Jahr liegt bei 539$, in Deutschland liegt dieses bei 45.723$ pro Kopf (Stand 2020, Weltbank). Damit ist Sierra Leone das 9. ärmste Land der Welt (WiWo).
Auf dem ersten Bild sitze ich in der Bibliothek meines Instituts und informiere mich über Sierra Leone. Ich selbst bin nun umso mehr gespannt, wie ich dieses sehr interessante Land persönlich im nächsten März wahrnehmen werde. Denn ich möchte nicht nur Wissen sammeln, sondern Erfahrungen.
Bildquelle: Encyclopædia Britannica
Was ist Mahmoo?
Schon häufig habe ich den Verein in den Texten zur Vorbereitung auf meinen Aufenthalt in Sierra Leone erwähnt, aber was macht dieser eigentlich?
Vielleicht haben ein paar den Link in meiner Bio bereits gesehen, über diesen gelangt man auf die Internetseite der Organisation. Selbst beschreibt Mahmoo die eigene Mission dort so: „MAHMOO — Zukunft in Kamakwie, Sierra Leone
Ein selbstbestimmtes Leben, eine Zukunft im eigenen Land - das ist das Ziel unseres Vereins. Kamakwie ist eine Distrikthauptstadt im Nordwesten Sierra Leones, einem der ärmsten Länder der Erde. Die örtliche Berufsschule bildet derzeit knapp 200 Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Handwerksberufen aus - doch die Schulgebühr von 20 Euro pro Jahr können sich viele Eltern nicht leisten. Helfen Sie mit Ihrer Spende, diesen Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, die nicht eine Flucht nach Europa bedeutet.
Wir alle sagen "MAHMOO", das ist Holimba und heißt "DANKE"!“.
Mahmoo möchte Fluchtursachen bekämpfen, Perspektiven schaffen und Hoffnung schenken. Teil des Vereins bin ich als Mitglied seit der Gründung. Im März möchte ich dann an dieser Berufsschule einen Monat mitarbeiten und Mahmoo auch vor Ort unterstützen.
Kleiner Reminder: Mitglied werden kann jede*r ;)
Die Finanzierung
Vier Wochen in Sierra Leone - was kostet das eigentlich? Ich werde für diese Mission nicht nur meine Semesterferien nutzen, sondern auch für meine Verhältnisse sehr viel Geld ausgeben. Allein die Kosten für die notwendigen Impfungen betragen rund 500 Euro, hinzu kommen Flug, Inlandstransporte, Unterkunft und Verpflegung. Die Reisekosten werden sich auf etwa 1.500€ belaufen.
Da die Hilfsorganisation Mahmoo noch recht klein ist und die Spendengelder direkt in die Projekte fließen sollen, bezuschusst der Verein keine Helfer*innen. Ich halte das für den richtigen Ansatz und will durchaus auch meinen eigenen finanziellen Beitrag leisten. Natürlich hoffe ich auch auf finanzielle Unterstützung. Angefangen mit den Serviceclubs Lionsclubs Münster, Rotary Münster und Roundtablede 48 Münster. Diesen habe ich mein Projekt vorgestellt und warte jetzt auf Antworten. Falls diese Option wegfällt, stände auch noch ein Sponsoring über Facebook oder ein paar weitere Möglichkeiten im Raum. Updates rund um die Finanzierung meines Aufenthaltes folgen selbstverständlich auf meinen
Meine Motivation
Die Semesterferien in Sierra Leone verbringen - wie kommt das? Wie viele andere Menschen habe ich das Jahr 2015 noch gut in Erinnerung: ich habe damals neben der Schule viel Zeit im „Flüchtlingscamp Prinovis“ in Itzehoe verbracht und mitgeholfen. Damals war mir nicht unbedingt bewusst, warum diese Menschen fliehen und ihre Heimat verlassen mussten. Ich empfand das als ungerecht und habe mir in den darauffolgenden Jahren viele Fragen gestellt. Auf diese wollte ich eine Antwort finden.
Bereits in der Schule war ich im Geographie-Profil und studiere jetzt im 3. Semester (Human-)Geographie an der WWU Münster. Theoretisch könnte ich hier schon einige Antworten auf meine Fragen aus 2015 und den Folgejahren finden, da Themen wie Fluchtursachen oder auch die Entwicklungszusammenarbeit immer wieder diskutiert wurden. Die logische Konsequenz jetzt für mich: Ich möchte selbst nun das erste Mal nach Sierra Leone. Ein Land, aus dem viele Menschen sich eben auf die Flucht nach Europa machen. Ich möchte nicht nur Wissen sammeln, sondern Erfahrungen.
Der Start
Für mich geht es nach Sierra Leone: ein Land in Westafrika. Warum und was da alles auf einen zukommen mag, dass dokumentiere ich hier die nächsten Monate. Ich werde dort einige Orte bereisen und auch Zeit an einer Berufsschule in Kamakwie verbringen.
Die Möglichkeit habe ich durch den Verein Mahmoo. Ein Verein, in dem ich seit Gründung Mitglied bin. Dieser unterstützt eben jene Berufsschule, an der ich 4 Wochen ehrenamtlich mitarbeiten werde.
Meine Vorbereitung startet mit vielen Impfungen. Die Erste: Gelbfieber. Stay tuned!
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